Freiheit vs Sicherheit
Am 11. September 2001 widerfuhr dem Freiheitsbegriff eine bisher nie dagewesene Zäsur. Aus den Trümmern des World Trade Center, jenes architektonischen Symbols der Allmacht des westlichen Way of Life, stieg nicht nur beißender Rauch auf, sondern auch ein schleichendes Nervengift namens Sicherheit. Jener Begriff, der allen Bürgern der sogenannten freien Welt Geborgenheit und Schutz vor Feinden aus dem Inneren und Äußeren suggerieren soll, sich in Wahrheit jedoch als ein satanisches Werkzeug zur totalen Kontrolle des Individuums entpuppte.
Verdächtig schnell wurde der Ground Zero von einem Tatort biblischen Ausmaßes zu einem Menetekel aus klebrigem Nation-under-God-Pathos umgemünzt. Bei einem Verbrechen solcher Größenordnung treten in der Regel ganze Heerscharen von Spezialisten auf den Plan, schirmen das Gelänge hermetisch ab und verwandeln es in ein Hochsicherheitslabor. Jeder Stein wird umgedreht, jedes Staubkorn eingetütet, registriert und katalogisiert.
Zur Erinnerung: bei den Anthrax-Briefanschlägen gegen Senator Tom Daschle, der „nur“ ein halbes Duzend Opfer forderte, waren zeitweise eine halbe Million Ermittler der CIA, des FBI, des Militärs und Zuarbeiter aller anderen Bundesbehörden in den ganzen USA unterwegs, sammelten Indizien, werteten sie aus. Die Untersuchungen dauerten Jahre und verschlangen hunderte Millionen von Dollar.
Vom Ground Zero waren die ersten Stahltrümmer bereits zum Einschmelzen per Schiff nach China (!) unterwegs, noch bevor Kriminaltechniker, Pathologen, Genetiker, Chemiker, Physiker, kurzum: alle verfügbaren Kräfte, die man angesichts von über 3.000 Opfern erwartet hätte, auch nur ansatzweise „loslegen“ konnten. Von einer adäquaten forensischen Untersuchung, wie der gesunde (naive?) Menschenverstand sie erwartet hätte, oder klassische kriminalistische Vorgehensweise es gebietet, keine Spur.
Statt dessen ein Stakkato säbelrasselnder Propaganda aus allen Kanälen der rechten Medienlandschaft, Bilder der choreographisch vollendet einstürzenden Twin-Towers in der Endlosschleife, die zweckdienliche Einteilung der gesamten Welt in Freund und Feind, der Relaunch des kalten Krieges in potenzierter Form. Nach einer gebotenen homöopathischen Schonfrist und der damit einhergehenden Installation eines schieren Monstrums nationaler Sicherheit namens Patriot Act, dann der finale Angriff der letzten Supermacht (O-Ton Zbigniew Brzezinski).
Der Rest der Geschichte ist hinlänglich bekannt und füllt, neben zahllosen und bisweilen auch recht kruden Verschwörungstheorien, auch eine mächtige, höchst offizielle Ermittlungsakte der US-Behörden – also quasi „die ganze Wahrheit“, die der Journalist Thierry Meyssan in seinem grandiosen Buch „ Der inszenierte Terrorismus“ bravourös zerlegt und als abstruses Lügengebäude entlarvt.
Was bleibt, sind Hunderttausende Opfer einer entfesselt wütenden Militärmaschinerie, angeführt von einem religiösen Eiferer im Oval Office, der mit seinem Nachfolger ein erbärmliches Schmierentheater (vulgo Gedenken) am Ground Zero inszenierte.
Freiheit vs Sicherheit. Auf die einfache Formel reduzieren sich die Denkschemata der westlich orientierten Regierungen seit 9/11, und das weltweit. Von den restlichen Verbündeten in der Coalition of the Willing denke ich, brauchen wir in diesem Zusammenhang nicht zu reden. Oder gibt es irgendwelche Freiheit in Saudi Arabien, in Katar, oder in sonst einem strategischen Partnerland der weltweiten Petrokratie?
Freiheit vs Sicherheit. Freiheit des Individuums bedeutet Vielfalt in Meinung und Lebensgestaltung. Ein idyllischer Gedanke. Freiheit bedeutet aber auch Opposition. Wem schadet also Freiheit? Wer sieht sich genötigt, das Axiom einer angeblichen Gegensätzlichkeit von Freiheit und Sicherheit als Kampfansage in die Welt zu setzen? Wessen vitale Interessen werden durch Freiheit eingeschränkt? Wie weit lässt sich die persönliche Freiheit des Individuums beschneiden? Oder anders gefragt: zu welchem Preis ist das Individuum bereit, auf Freiheit zu verzichten, sprich: Freiheit gegen Sicherheit einzutauschen?
Angst ist bei einem niedrigen Bildungsstand der Bevölkerung ein probates Mittel, Angst vor Terrorismus das Mittel der Stunde. Bar jeglicher Statistiken werden Szenarien kreiert, denen zufolge dies oder das gefährlich ist und deshalb zwingend unter Beobachtung gestellt werden muss. Der Preis für dafür ist, wen wundert es, immer der Verzicht auf etwas Freiheit hier, eine Barriere da. Als Trost findet sich beim Discounter Stande Pede wieder ein neues, umwerfend trendiges Produkt. Schokolade gegen Tränen. Schritt für Schritt, subtil und ansprechend verpackt, findet eine gespenstische Metamorphose von Freiheit statt. Das Wort hat seine ursprüngliche Bedeutung verloren. Freiheit wird gleichgesetzt mit einem überwältigenden Warenangebot, in multimedialer Präsenz und in lärmenden Konsumtempeln gefeiert.
Wir haben und nehmen uns wie selbstverständlich die Freiheit, aus der überbordenden digitalen Parallelwelt Musik, Literatur, Fotos, Filme, sprich: geistiges Eigentum via Copy & Paste gratis in unser privates Refugium zu transferieren, aber wir haben und nehmen uns auch die Freiheit, den Niedergang der kulturellen Vielfalt und die Substanzlosigkeit von Kultur, längst zur wohlfeilen Konsumware verkommen, in tausenden von Internetforen lautstark zu beklagen. Das kann uns niemand verbieten. Soviel Freiheit haben wir!
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Keine Schlagwörter vorhanden