Spitze Feder

Experten-Redundanz

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Wenn man ein Problem hat, das einem unlösbar scheint, kann man sich Experten ins Boot holen.

Wenn man sich mit einem Problem konfrontiert sieht, das mit dem eigenen Können und/oder Wissen nicht lösbar erscheint, ist es ratsam, sich Experten des entsprechenden Fachgebietes ins Boot zu holen. Ich habe null Ahnung von Kfz-Elektronik. Wenn auf meinem Armaturenbrett urplötzlich irgendwelche obskure Warnlämpchen aufpoppen, die ich nicht zuordnen kann, fahre ich in eine Werkstatt und lasse die Kiste von einem Experten checken, ausgewiesen durch einen Meisterbrief, der in den meisten Betrieben stolz an der Wand hängt.

Da all diese Firmen über identische Tools verfügen müssen, um den Fehlerspeicher auslesen zu können, wäre es höchst redundant, gleich ein halbes Dutzend Werkstätten in die Unpässlichkeit meines Armaturenbrettes zu involvieren. Redundanz ist nämlich ein Lehnwort aus dem Lateinischen „redundare“ und heißt soviel wie: „überlaufen“, oder „sich reichlich ergießen“.

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Die allwissende Internetenzyklopädie Wikipedia, listet für besagtes Lehnwort gleich ein ganzes Panoptikum an Bedeutungen auf, das man sich aber besser nicht auf der Zunge zergehen lassen sollte. Dabei würde nämlich das Dorsum Linguae womöglich irreversibel derangiert, sodass einem am Ende das Zabaglione-Eis beim Italiener nicht mehr schmeckte. Auf der anderen Seite, kann es nicht schaden, diese Bedeutungen zumindest im Hinterkopf … oder so ähnlich.

Wer beispielsweise in Berlin, Hamburg, oder München, seine Hände mit Cyanacrylat auf Straßen klebt, um damit das Klima zu retten, und danach, mit der angemessenen Flugscham, zum Chillen nach Bali jettet, kann sich entspannt zurücklehnen. Denn so ein moderner Vogel verfügt über mehrfach redundante Systeme, für den Fall, dass eines davon mal den Geist aufgeben sollte. Die komplette Flugsteuerung ist in den meisten Jets heutzutage zumeist dreifach verbaut, und die Nieten, die das ganze Aluminium-Konstrukt zusammenhalten, sind gleich in zig-facher Redundanz vorhanden. Nur zwei Beispiele für das Expertentum, welches für solche technischen Meisterwerke unabdingbar ist.

Tritt hingegen suggeriertes Expertentum gleich mehrfach redundant zutage, kann es ziemlich doof werden. Oft täuschen solch fiktive Koryphäen, durch joviale, zig-fache Nennung ein und derselben Information, nämlich Expertise nur vor, die sich, bei eingehender Überprüfung, schon mal als des Kaisers alte Unterhose entpuppen kann.

Wenn jemand das Bedürfnis verspürt, seinen Lebensunterhalt mit dem Reparieren von Autos zu bestreiten, geben der Gesetzgeber und ein breites Spektrum an Normen vor, wie er dies zu bewerkstelligen hat. Um das erforderliche Wissen und die technische Expertise nachweisen zu können, muss er sich einer umfangreichen Ausbildung unterziehen und zur finalen Prüfung einer Experten-Kommission stellen, die ihm sein Können durch besagten Meisterbrief dann auch offiziell bescheinigt.

Wenn jemand allerdings versucht, seine Gier nach Popularität, durch die Teilnahme an einer zutiefst redundanten Reihe politischer TV-Talkshows zu befriedigen, sieht die Sache schon etwas anders aus. In solchen Runden werden nämlich keine objektiven Nachweise von Expertise zu dem behandelten Thema gefordert. Den Zuschauerinnen und Zuschauern werden durch die Regie auch keine Meisterbriefe, oder ähnliche offizielle Dokumente eingeblendet. Alleine die Vorstellung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Rahmen der Anmoderation, setzt dem Publikum schon den Floh ins Ohr, es agierten tatsächlich echte Expertinnen und Experten auf der Mattscheibe. Und so geben sich ganze Heerscharen von derart in den wissenschaftlichen Olymp erhobenen Finanzexperten, Osteuropa-Experten, Verteidigungsexperten, Bildungs-Experten, Arbeitsmarktexperten … die Klinken und die Mikrophone der TV-Studios in die Hand, deren vermeintliches Expertentum, man zumeist als affektierte Selbstbeweihräucherung knicken, lochen und abheften kann.

Das wäre ja alles noch kein Beinbruch, lebten diese Selbstdarstellerinnen und Selbstdarsteller ihr peinliches Dorian-Gray-Syndrom ausschließlich bei Markus Lanz, Anne Will, Frank Plasberg & Co. aus. Irgendwann ist die Sendung nämlich vorüber, alle Beteiligten haben ihre profunde Ahnungslosigkeit mit stolz geschwellter Brust coram publico kundgetan, und Micheline und Michel können ohne jeglichen Qualitätsverlust zum Dschungel-Camp umschalten, im Grunde genommen sogar, ohne das Genre zu wechseln!

Richtig bedrohlich wird es allerdings, wenn besagtes Kartell der Ignoranz, die Gratis-Meriten seines grotesken Showbiz-Ruhms, mit tatsächlichem Expertentum gleichsetzt. Seit beinahe einem Jahr, manövriert uns dessen uferloser Narzissmus nämlich in eine brandgefährliche Situation, die en passant im dritten Weltkrieg enden könnte. Allerdings muss man dann wiederum kein Experte sein, um sich heute schon die Folgen ausmalen zu können. Insofern …

Alles wird gut … sofern man nur über ausreichende Experten-Redundanz verfügt.

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    Spitze Feder – Spitze Zunge

    Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
    Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

    Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

    Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

    Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

    Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | Peter Grohmüller: © 20. Februar 2023

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