Nun ist Erdogan also designierter Staatspräsident und auf dem besten Wege zum ersten konservativ-islamischen Despoten im erlauchten Kreise der NATO-Mitglieder aufzusteigen. Ein brandgefährlicher Demagoge, der in der Türkei fernab jeglicher parlamentarischen Kontrolle eine Art zeitgenössisches Kalifat errichten, nach Gutdünken schalten und walten und mithin dem laizistische Erbe des Mustafa Kemal Atatürk endgültig das Aus bescheren könnte – und vermutlich auch bescheren wird, schenkt man seinem schwülstigem Pathos und seinen unverhohlenen Drohungen an den politischen Gegner Glauben.
Seine befremdliche Auffassung von Demokratie, Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit hat er bereits deutlich unter Beweis gestellt: bei der Leugnung des Völkermordes an den Armeniern, bei der gnadenlosen Verfolgung der Kurden, der systematischen Unterdrückung der Alewiten bis hin zur physischen Vernichtung, bei der gewaltsamen Räumung des Gezi-Park und zu guter Letzt bei der illegalen Blockierung unbequemer sozialer Netzwerke wie Facebook und Twitter, trotz höchstrichterlichem Urteil.
Sämtliche Kritiken an Erdogan und seinem absolutistischen Führungsstil werden nun in den hiesigen Leitmedien routiniert abgespult, um danach Stande Pede in den Archiven zu verschwinden. Schließlich ist man bei allem journalistischen Engagement gehalten, auf die Befindlichkeiten von 80 Millionen potentiellen Kunden am Bosporus Rücksicht zu nehmen.
Was bei der zurecht kontrovers geführten Diskussion völlig aus dem Fokus gerät, ist die Tatsache, dass die Türkei über eine Streitmacht von ca. 700.000 Mann unter modernsten Waffen verfügt – mit Erdogan als Oberbefehlshaber! Ein erschreckender Gedanke angesichts dessen jüngster Laissez-faire-Politik gegenüber den marodierenden IS-Terrortruppen, die bei ihrem Einmarsch in den Irak ungehindert türkisches Territorium überqueren konnten.
Wie würde die Welt wohl reagieren, käme es am Ende gar zu einer Union der zersplitterten radikalmuslimischen Kräften unter der Federführung Erdogans, mit dem Ziel der Renaissance eines osmanischen Großreichs? Dies sollte man all jenen in dicken Lettern vor die Nase halten, die sich nun anschicken, massenhaft Glückwunschtelegramme nach Ankara zu senden und hanebüchene Beschwichtigungen in Talk-Shows zu verbreiten, um die Geschäfte mit dem NATO-Partner am Bosporus nicht „unnötig“ zu belasten.
Von Gastautor Peter Grohmüller
Bild: Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.0 generisch“ (US-amerikanisch) lizenziert.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Keine Schlagwörter vorhanden