„Das ist das Leben!“ so tönt es mir aus dem Fernsehlautsprecher entgegen und wieder einmal mehr möchte mir eine so genannte Doku oder Doku-Soap die „Reality“, also die angebliche Wirklichkeit näher bringen. Ob nun bei „Mitten im Leben“ oder bei den Fernsehfahndern Niedrig und Kuhnt, immer wieder versuchen die Sender, dem mehr oder weniger unbedarften Zuschauer irgendwelche erfundenen Zusammenhänge durch Laien- oder Kleindarsteller als vermeintliche Wirklichkeit vorzuführen.
Doch vorgeführt wird nicht die Wirklichkeit und nicht einmal die handelnden Protagonisten werden vorgeführt, sondern einzig und allein der Dumme vor der Glotze.
Angeblich halten ja über 60 % der Zuschauer in der werbewirksamen Zielgruppe der 14-40jährigen das Dargestellte für eine Art abgefilmte Wirklichkeit.
Sie nehmen die durch Autoren geschriebenen Handlungsstränge (scripted) für bare Münze (Reality) und lassen sich durch die schlecht gesprochenen Dialoge und das stümperhaft ausgesuchte Ambiente blenden und glauben tatsächlich, das was die Sender hier bei „Verklag mich doch!“ und all diesen Formaten zeigen, sei Teil der Realität und so lebten die Menschen um sie herum.
Dabei ist es eine altbekannte Tatsache, daß der Mensch dazu neigt, die eigene Situation vollkommen zu verkennen und sich besser zu fühlen, so lange er andere Menschen vor Augen hat, denen es aus seiner subjektiven Sicht noch schlechter geht, die noch asozialer oder zum Beispiel noch arbeitsloser, blöder oder unfähiger sind als sie sich selbst einschätzen.
Vor Jahren sagte mir mal ein führender Waschmittelwerber, die Fernsehwerbung für Waschmittel würde für die 5% der dümmsten Hausfrauen Deutschlands gemacht.
Der Rest sei durch Werbespots sowieso nicht erreichbar oder kaufe ohnehin immer eine feste Marke. Und was für Waschpulver gilt, das gilt auch für sehr viele andere Produkte, oder glaubt wirklich ein normal denkender Mensch beispielsweise der schreierischen Autoglas-Werbung, die den Dummen vor der Glotze in immer wieder nahezu gleichen Worten einbläut, die Scheiben des Autos könnten reißen, wenn man nur einen Kronkorken überfährt?
Nein, viele alle Werbespots wenden sich gezielt an das leicht zu beeinflussende Publikum und je dümmer das Publikum ist, umso leichter dürfte es zu beeinflussen sein. Also muss man diese Schicht der Unkritischen und Leichtgläubigen vor dem Fernseher versammeln und durch Sendungen anlocken, die just das eben beschriebene Bedürfnis der abgrenzenden und balsamierenden Reflektion befriedigen.
Ging das bis vor ein paar Jahren noch, indem man Unterschichtler mit der Kamera in ihrem Alltag begleitete, so mussten es ein paar Jahre später schon besondere Situationen sein, in die man diese, des Lesens und Schreibens meist kaum mächtigen Leute schickte. Heute ist die Wirklichkeit dem Publikum schon viel zu langweilig und es ergeben sich im Gezeigten und Erlebten zu viele Schnittmengen und Übereinstimmungen, sodaß ganze Autorenteams damit beschäftigt sind, für die Protagonisten eine herbeierfundene Wirklichkeit mit den absonderlichsten Problemstellungen und Lösungsansätzen zusammen zu schreiben.
Bedeutungsvoll ist für mich hierbei nicht, daß es im Fernsehen solche Sendungen zu sehen gibt, das ist eben „Fiction“ und nicht „Feature“ oder „Doku“. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß die angesprochenen Zuschauer glauben, so sei die Welt da draußen, jenseits der Bierflasche und des übervollen Aschenbechers wirklich.
Aber in der Realität kommen eben nicht die Kommissare Niedrig und Kuhnt mit übertriebenem Verständnis, wenn man mal die „Bullen“ ruft, sondern da kommen echte Beamte, die auch nach echten Gesetzen handeln.
Und ist man erst einmal angeklagt, dann hat man es eben nicht mit Richter Alexander Hold oder Richterin Barbara Salesch zu tun, ja man wird sich schon umgucken, wenn man nur ansatzweise versuchen würde, im Gerichtssaal sich so aufzuführen, wie es die Darsteller in diesen Gerichtsschows immer tun.
Nein, im echten Leben wird auch von echten Richter echtes Recht gesprochen, auch nicht immer korrekt, aber doch immer viel wirksamer und echter in den Folgen, als es im Fernsehen je geschieht.
Es kommt auch keine Nanny, die einem die verzogenen Gören erzieht, kein Hundeflüsterer, der dem Vierbeiner das Sofapinkeln abgewöhnt und es kommt auch kein Peter Zwegat, der einem die Schulden wegdiskutiert.
Ja, es ist eine bittere Erkenntnis, daß man seine Alte nicht einmal bei „Frauentausch“ wirklich los wird. Erstens ist auch das eine vorgegaukelte Wirklichkeit und zweitens gehört es sogar zum Konzept der Sendung, dass man seine Hausschlampe, nachdem sich sich vor den Augen der Fernsehnation als faule Sau und Dreckspatz entblödet hat, wieder zurück nehmen muss.
Das Leben hier draußen in der Realität sieht anders aus.
Ich fürchte aber, daß sich im Laufe der Zeit die vorgespielten Handlungsmuster auf die Dummschauer übertragen, weil sie einfach diese Handlungsweisen der Fernsehprotagonisten übernehmen und für richtig halten, weil sie ja aus dem Glaubwürdigkeitsmedium Fernsehen kommen.
Schöne Aussichten!
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