von Peter Grohmüller
APPokalypse
Die Apokalypse ist etwas Endgültiges, etwas Furchterregendes, ein schlimmstenfalls sogar letales Ereignis, dem man durch umsichtiges Verhalten besser aus dem Wege zu gehen trachtet. OK, dieser Satz mag ziemlich dick aufgetragen sein. Aber jeder, der sich entweder aus christlich religiöser Prägung über das Elternhaus, oder über die eisenharte Indoktrination eines gestrengen Priesters, der Bedeutung der Apokalypse bewusst ist und im Laufe seines Lebens von Zeit zu Zeit mit dem Begriff konfrontiert wird, reagiert mit einer, vor dem inneren Auge vorbeiziehenden Assoziationskette der unangenehmen Art, wenn jener mystisch überladene Begriff fällt.
Und dann gibt es noch Zeitgenossen, die aus cineastischer Erfahrung sofort an das bildgewaltige Hollywood-Epos „Apocalypse Now“ aus dem Œuvre des großen Francis Ford Coppola aus dem Jahre 1979 denken, in dem erstklassige Mimen wie Martin Sheen, Marlon Brando oder Laurence Fishburne, um nur einige zu nennen, den Wahnsinn des Vietnam-Krieges und die Verrohung des Menschen in kaum zu ertragenden Bildern anprangern. Wer den Film jemals gesehen hat, wird ihn nicht vergessen und den Krieg zurecht als vom Menschen gemachte Apokalypse betrachten.
Da mein Wissen um das sogenannte Buch der Bücher doch eher die Bezeichnung rudimentär verdient und ich mir nicht vorwerfen lassen möchte, ständig aus Wikipedia zu zitieren, empfehle ich dem geneigte Leser, sich des 6. Kapitels der Offenbarung des heiligen Johannes zu widmen, wenn er sich das Drama mit den Reitern und dem ganzen Elend, das die Bibel der Menschheit an göttlichen Unannehmlichkeiten im Falle fortgesetzten Ungehorsams gegenüber dem Schöpfer so prophezeit, noch einmal zu Gemüte führen möchte.
Neben dem biblischen und dem künstlerischen, gibt es seit einigen Jahren ein weiteres Isotop des Endzeitlichen: Die sogenannte APP. Die Kurzform des Wortes Applikation hat, wie die meisten lateinischen Lehnwörter im eingedeutschten Aggregatzustand, gleich mehrere Bedeutungen, wie beispielsweise Anwendung, Benutzung, Einsatz, Gebrauch, Verwendung, etc. In Zeiten der digitalen Vernetzung von allem mit allem, geraten die meisten dieser Bedeutungen jedoch in den Hintergrund, wenn nicht gar in Vergessenheit. Heute denkt jeder in erster Linie an sein Tablet oder sein Smartphone, wenn der Terminus APP fällt. Will meinen: Das Wort APP findet nur noch im Zusammenhang mit Anwendungssoftware seine Bedeutung.
Die Anzahl dieser APPs/Applikationen, die man auf manchen Portalen entweder gratis, oder in virtuellen Kaufhäusern (vulgo: APP-Stores) gegen Bezahlung erstehen, hernach auf sein Endgerät installieren und sich daran bestenfalls erfreuen kann, ist nahezu unvorstellbar. Alleine im Store jenes Unternehmens, dass seine Produkte und Services mit einem angeknabberten Apfel bewirbt, kann man 2,2 Millionen davon erwerben (Stand Januar 2017). Dazu gesellen sich noch ca. 3,4 Millionen verfügbare APPs im Google-Play-Store und, und, und. Jeder Kurzwaren-Einzelhändler, der etwas auf sein Berufsethos hält, bietet zumindest eine Schießer-Feinripp-Unterhemden-APP für die fachgerechte Wäschepflege an.
Ich habe mich vor einigen Jahren mal über diesen Trend und einige völlig bescheuerte Gaga-Tools lustig gemacht und mir überlegt, ob es nicht allmählich an der Zeit wäre, eine sogenannte Spontaneous-Breathing-App für Smartphones zu entwickeln, die alle Vitalfunktionen des menschlichen Organismus in Echtzeit überwacht und den User entweder über ein lautes akustisches Signal, oder über eine bestimmte Form von Vibration in regelmäßigen Abständen ermahnt, sich seiner ausreichenden Respiration zu vergewissern. Na, klingelt es? In jedem hippen Fitness-Studio kann man die Work-Out-Knechte dabei beobachten, wie sie im hypertonischen Modus von Ergotrainer zu Butterfly-Maschine hin und her hetzen und dabei über ihre Smart-Watch-App ständig überprüfen, ob sie auch genügend geatmet haben.
Vielleicht gibt es demnächst sogar eine APP, mit der man einen Züchter gentechnisch optimierter Galloway-Rinder findet, bei denen die Länge der Kalbshaxen exakt mit der Größe der Bratröhre in der heimischen Küche korreliert. Würde natürlich schon eine Kleinigkeit kosten. Da jedoch mehrere Betriebssysteme miteinander konkurrieren, also bei den Smartphones und Tablets, nicht bei den Kalbshaxen, gäbe es sicher auch mehrere Anbieter für dieses ungemein nützliche Tool, und der eine oder andere lieferte zur Basisversion für iOS, Android und Windows Phone noch eine Gratis-APP für die passende Kalbshaxen-Marinade zu französischem oder italienischem Rotwein.
Wenn die Programmierer beim Entwickeln von Myriaden dieser Tools die gleiche Maßlosigkeit an den Tag legen, wie die Hardware-Hersteller mit ihrem aberwitzigen Output an ständig „verbesserten“ Endgeräten, die man dann selbstredend auch haben MUSS, ist es absehbar, dass es in nicht allzu ferner Zukunft für jeden der 7,5 Milliarden Menschen auf diesem Planeten eine personalisierte APP geben wird, die neben allen Vorlieben wie Kalbshaxen, Rotwein und Ähnlichem, auch die komplette Persönlichkeit des Users abbildet. Eine APP, die seine Sichtweise auf die Welt, seine Reaktionen auf die Ereignisse, seine Glücksgefühle und seine Wut analysiert, optimiert und zum Abgleich mit anderen APPs in einer Verhaltensmuster-Cloud speichert. Das wäre die wahre APPokalypse…sagte ich: Wäre?
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