Von dem seligen Kanzler der Einheit und profunden Kenner der Sitzordnung des Deutschen Bundestages, stammt das Bonmot: „Diese Bundesregierung ist nicht auf dem rechten Auge blind, weder auf dem einen, noch auf dem anderen.“
Kunststück: Was hatten wir in den letzten 40 Jahren aus den Reihen der Union doch schon Hardcore-Rechte auf den Abgeordneten-Stühlen und Ministersesseln? Da war ja kaum eine Gelegenheit, zu erkennen, dass es auch noch Meinungen gab, die man mit einiger Phantasie und viel Wohlwollen hätte als „links“ bezeichnen können.
Strauß, Kanther, Barzel, Zimmermann, Schäuble, de Maizière, Seehofer … Bei einem derart rechten Bollwerk fleischgewordener Paranoia vor der Nase, brauchte Helmut natürlich beide Augen, um das erzreaktionäre Elend zu überblicken.
Deshalb war es auch das Normalste der Welt, dass ein 16-jähriges Teeniegirl mit PLO-Schal, das auf einer Friedens-Demo linkes Liedgut zur Wanderklampfe trällerte, quasi putativ erst mal mit einer ordentlichen Dosis CS-Gas versorgt wurde. Während feiste Glatzen in Bomberjacken, Jeans mit Hosenträgern und weißen Schnürsenkeln in ihren blank gewichsten Springerstiefeln „national befreite Zonen“ feierten und mit netten Streifenbeamten gechillt ein Bierchen zischten.
An diesem merkwürdigen Verständnis in Sachen vorbeugende Staatsgewalt änderte sich auch 1998 nichts, als ein gewisser Otto Schily, seines Zeichens ehemaliger ultralinker RAF-Anwalt und, nach einem kurzen ideologischen Zwischenstopp bei den Grünen, SPD-Mitglied, das Amt des Bundesinnenministers übernahm. Ihn einte mit allen seinen Vorgängern, der Hang zum martialischen Auftreten der Staatsgewalt gegenüber jenen, die die Chuzpe besaßen, das kapitalistische System in Frage zu stellten.
Da man dies dem rechten Gesocks, alleine schon anhand der Historie des dritten Reiches, nun wirklich nicht unterstellen kann, habe sich alle Bundesinnenminister artig an den Linken und der Antifa abgearbeitet. OK, es kann ja auch nicht angehen, dass der schwarze Block während des G20-Gipfels Autos abfackelt und sich hernach in der Roten Flora verschanzt. Wobei … diese linksradikale Antifa-Zelle liegt ja bekanntlich im Schanzenviertel der Freien und Hansestadt Hamburg. Insofern birgt der gemeinsame Wortstamm zumindest eine gewisse ironische Note.
Dieses reaktionäre Law-and-Order-Denken und die Laissez-faire-Tradition gegenüber den alten und neuen Nazis auf dem Chefsessel in Alt-Moabit 140, 10557 Berlin, fand am 8. Dezember 2021 mit dem Amtsantritt einer gewissen Nancy Faeser, übrigens der ersten Frau seit 1949 in dieser Testosterondomäne, ihr (vorläufiges?) Ende. Und mit ihm der Kohlsche Doppel-Rechts-Strabismus auf das politische Geschehen außerhalb der altehrwürdigen Mauern des Reichstages.
Um dies zu unterstreichen, lud Nancy Faeser die versammelte Presse zu einem „PR-Coup“ der besonderen Art ein, wie die rechte und ultrarechte Szene im weinerlichen Tremolo Stande Pede konstatierte:
Am 7. Oktober 2022 rückten nämlich 3000 Beamte und Sondereinsatzkommandos der Polizei in einer gemeinsamen Aktion den sogenannten Reichsbürgern auf die Pelle und nahmen 25 ihrer „mutmaßlichen Mitglieder in Gewahrsam“. Unter ihnen, wie in einer medialen Endlosschleife berichtet wurde, die Richterin am Landgericht Berlin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, so wie ein gewisser Heinrich XIII. Prinz Reuß, der alsbald zum Mastermind der „rechten Terrorzelle“ erklärt wurde und in der Szene somit eine gewisse Berühmtheit erlangte. Nun ja, auch Nazis brauchen zuweilen ihre Märtyrer, und seit Rudolf Hess nicht mehr unter den Lebenden weilt, müssen sie sich eben auch mal mit adligem Ramsch von der Resterampe zufriedengeben.
Das Merkwürdige an der ganzen unappetitlichen Geschichte, sind allerdings die zerebralen Ergüsse der Leitartiklerinnen und Leitartikler, die in geradezu inflationären Breaking-News mit Verweisen auf eine angebliche Senilität des neuen Sterns am Nazihimmel, beinahe unisono in den Modus des Relativieren, des Verharmlosens und des ins-Lächerliche-ziehen einstimmten.
Jesko zu Dohna, der stellvertretende Chefredakteur der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung, stimmte in seinem Kommentar sogar in die Beschwichtigungen ein, dass „… der vereitelte Reichsbürger-Putsch vor allem ein amüsanter PR-Coup der Behörden war“. Ob er damit das Axiom Kurt Tucholskys, Satire dürfe alles, einfach nur extrem überdehnte, oder ob er sich mit seiner Zeilenschinderei an die Spitze der Relativierer, der Verharmloser und der ins-Lächerliche-Zieher setzen wollte, bleibt dem Betrachter selbst überlassen.
Fakt ist, dass bei der Razzia unter anderem Schusswaffen und eine Todesliste mit zu exekutierenden Vertreterinnen und Vertretern aus der Politik beschlagnahmt wurden. Dass sich in dem illustren Kreis der Verhafteten, auch aktive und ehemalige Soldaten der Bundeswehr und ein ehemaliges Mitglied des einschlägig bekannten Kommandos Spezialkräfte (KSK) befinden, sei nur am Rande erwähnt. Was daran amüsant sein soll, bleibt ebenfalls dem Betrachter selbst überlassen.
Nähere Informationen zu Risiken und Nebenwirkungen dieses geplanten Umsturzes, erfahren sie nicht in den Leitmedien, sondern in den Chroniken der Amadeu Antonio Stiftung unter
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/chroniken/
„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“
Bertolt Brecht.
Ansichtssache?
- 331px-Bundesarchiv_Bild_183-W0409-300_Bertolt_Brecht: Von Bundesarchiv, Bild 183-W0409-300 / Kolbe, Jörg / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5371156
- reichsburger: Collage Peter Wilhelm
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