Nachdem mein Namensvetter und Freund, Mastermind des Dreibeinblogs, mich darauf hingewiesen hat, dass ich einige immens wichtige Aspekte der einfachen Sprache in meinem Elfenbeinturm offensichtlich nicht auf dem Schirm hatte, als ich meinen Beitrag „Vom Segen der einfachen Sprache“, zornig in die Tastatur hämmerte, trage ich gerade ein imaginäres Büßerhemd, und möchte mir mit diesem Update, Asche aufs Haupt… oder wie das heißt. Mea Culpa!
Spaß beiseite! Zunächst…
Ich hatte mich, im Nachhinein betrachtet, ziemlich unüberlegt darüber echauffiert, dass ein solches Bohei um die „einfachen Sprache“ veranstaltet wird und mich gefragt, wie es wohl wäre, wenn man richtig, richtig viel Kohle in die Hand nähme, wenn man damit unser erbarmungswürdige Bildungssystem auf Vordermann brächte und dadurch die sogenannten „bildungsfernen Schichten“, als das Ergebnis eines vorsätzlichen, gesellschaftlichen Versagens apostrophieren, und ihm letztendlich einen Platz in den Geschichtsbüchern zuweisen könnte…nach dem Motto: knicken, lochen, abheften, und das Problem wäre erledigt…und somit auch die Notwendigkeit der einfachen Sprache.
Weit gefehlt, denn dieser einseitige Gedanke greift erheblich zu kurz! Denn es gibt hierzulande Millionen von Menschen, deren Probleme im Verständnis komplexer Sprache, explizit nicht darin liegen, von unserem völlig unterfinanzierten Bildungssystem, einfach nur erbärmlich schlecht geschult worden zu sein, wie mir nun, von meinem Zorn genesen und nach umfangreicher Recherche, bewusst wird.
„Wer nicht ständig lernt, wird täglich dümmer“. Mao Zedong 😊 Ich habe mir erlaubt, diesen Spruch der Oberameisen zu beherzigen.
Alleine 3,5 Millionen Legasthenikerinnen und Legastheniker leben hierzulande. Dazu kommen noch rund 2,4 Millionen Menschen, die von ADHS betroffen sind, knapp 12 Millionen Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund, über drei Millionen Schutzsuchende, und, und, und…
All diese Menschen brauchen für eine gerechte Teilhabe die einfache Sprache!
Diese Zahlen sind gewaltig! Und wenn ich an meine wunderschöne, hochkomplizierte Muttersprache denke, kann ich durchaus nachvollziehen, dass es, auch ohne kognitive Einschränkungen, schon eine Herkulesaufgabe darstellt, sie als Fremdsprache zu erlernen und zu verstehen. Es gibt vermutlich recht wenig „native speaking“ Deutsche, die einen komplexen Text mit verschachtelter Struktur und gespickt mit Fremdwörtern, mal eben „mit Links“ lesen und vollumfänglich erfassen können, sofern er nicht ihrem Fachgebiet entstammt. Insofern gebe ich mich geläutert, meine voreilig ablehnende Einstellung zur einfachen Sprache betreffend:
Sie wird dringend gebraucht!
Allerdings wiederhole ich, ohne den Eindruck eines Nachtretens erwecken zu wollen, mein Statement, dass unseres Bildungssystems vorsätzlich kaputtgespart wurde, dass die sogenannten „bildungsfernen Schichten“, eine kausale Folge dieser systemischen Unterlassung sind, dass dieses Desaster eine ethisch moralische Bankrotterklärung eines so reichen Landes, wie der Bundesrepublik Deutschland, darstellt. Deshalb frage ich mich: Qui Bono?
Einfache Sprache wird dringend gebraucht! Allerdings beileibe nicht ausschließlich von den oben genannten Bevölkerungsgruppen.
Wenn ich bedenke, auf welch katastrophalem, sprachlichem Niveau, Diskussionen auf YouTube & Co mitunter geführt werden, auch und gerade von Muttersprachlern, und wenn ich mitbekomme, mit welch schlampigem Szene-Slang sich einige der heutigen Teenager unterhalten, fürchte ich, dass einer Borniertheit solchen Ausmaßes, auch zig Milliarden € nicht gewachsen wären, selbst wenn man sie sofort und nachhaltig in unser Bildungssystem pumpte.
„Yo, Alder, was geht? Chillen?“
„Nein, ich geh Fahrschule.“
„Boah, krass!“
Unsere wunderschöne Muttersprache, wird à la longue wohl in den Katakomben verklärter Linguisten verschwinden und das Feld einer uninspirierten, gedankenlosen Gebrauchssprache überlassen. Mit dieser fatalen Entwicklung werden die Bürgerinnen und Bürger allerdings auch unabwendbar die Fähigkeit verlieren, zu hinterfragen und so die Zusammenhänge hinter den Schlagzeilen zu verstehen…und vielleicht sogar den Willen, sie verstehen zu wollen. Deshalb frage ich mich erneut: Qui Bono?
Sprache ist kein starres Gefüge. Sie entwickelt sich evolutionär, stetig und unbemerkt weiter. Worte verschwinden und neue kommen hinzu. Niemand flaniert heutzutage mehr nach dem Soupée zum reinen Pläsir ein Wenig auf dem Trottoir und ruht sich hernach auf dem Chaiselongue aus.
Laut Sprachwissenschaftlern enthält die deutsche Sprache zwischen 300.000 und 500.000 Wörter, wobei der Duden rund 150.000 davon auflistet. Der durchschnittlich gebräuchliche, aktive Wortschatz umfasst immerhin noch 12.000 bis 16.000 Wörter.
Noch!
Denn eines nicht allzu fernen Tages wird sich ein krudes Szene-Kauderwelsch aus ein paar Hundert Worten und einer rudimentären Restgrammatik im Alltagsgebrauch durchsetzen. Der jetzt noch reichhaltige Wortschatz der deutschen Sprache, wird dafür dann nicht mehr benötigt und an eine KI outgesourct, von dieser katalogisiert und im Bundesarchiv für die Nachwelt auf chinesischen Festplatten eingelagert werden.
Unsere muttersprachlichen Nachkommen werden in ein paar Jahrzehnten vielleicht zum Dönerladen oder zum China-Imbiss gehen müssen, um sich vom freundlichen Herrn Öztürk oder der zuvorkommenden Frau Wang die Gefahrenhinweise auf einem Einwegfeuerzeug erklären zu lassen, weil sie den Text des Aufklebers nicht verstehen.
Wie ich bereits sagte: Die einfache Sprache wird dringend gebraucht – mehr, denn je; und ich fürchte, der Bedarf wird exponentiell steigen.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: Einfache