Roten Linien sind etwas Seltsames. Von Zeit zu Zeit zieht irgend jemand, meist zum Zwecke der Steigerung eigener medialer Präsenz, jene imaginären Grenzen, in der Hoffnung, der damit Angesprochene möge sie doch bitte überschreiten, um dann in melodramatischer bis staatsmännischer Geste zu konstatieren, dass er sie nun überschritten habe. Danach arbeiten sich die Polit-Chefredakteure der Leitmedien in ihren Beiträgen einige Tage an diesen Affronts ab, in den Provinzblättern traut sich der eine oder andere Lokalberichterstatter dörflichen Zwists aus der Deckung und verfasst einen geharnischten Kommentar; und dann passiert…nichts.
Ausser dass man nun mit den schwierigen Partnern…unter den Aspekten veränderter Rahmenbedingungen konstruktive Gespräche führen und sich überlegen müsse…und dass es gerade in solch kritischen Situationen ganz wichtig sei, mit diplomatischen Anstrengungen…dass nun die Europäische Wertegemeinschaft ein Zeichen gegen staatliche Willkür setzen müsse…um just zum nächsten Gipfeltreffen zu jetten und eine hochrangige Delegation aus der Wirtschaft in der Regierungsmaschine mitzunehmen.
Die wohl bekannteste rote Linie ist das pittoreske Flüsschen Rubikon, das südlich von Ravenna in die Adria mündet. 49 v. Chr. überschritt ein gewisser Gaius Julius Caesar jenes Gewässer und legte sich dadurch mit dem Römischen Senat an. 2.061 Jahre später folgte ihm, symbolisch betrachtet, ein gewisser Kai Diekmann, ein gar übler Chronist aus Germanien, der sich wiederum mit dem schafsdämlichen Volkstribun Christian Wulff überwarf, den er zuvor in seinen Schriften stets lobpreisend besang.
Einer der eifrigsten Passagiere auf der Fähre über den Rubikon war in jüngster Zeit zweifelsohne der stets etwas heißer umherschreiende Recep Tayyip Erdoğan. Was hat dieser Krakeler bei seinen zahllosen Passagen über das unschuldige Gewässer doch an Dreistigkeiten und Unverschämtheiten über die Reling gebrüllt. Dass alle EU-Regierungschefs Nazis seien, weil sie sich beharrlich weigerten, türkischen Ministern ein Forum zu bieten, damit diese seine hirnrissige Logorrhoe, sprich sein erbärmliches Wahlkampfgetöse den im EU-Exil lebenden Landsleute angedeihen lassen könnten.
Das meine ich weder fremden- noch türkenfeindlich. Nur finde ich es mehr als befremdlich, wenn hier lebende türkische Wahlberechtigte die so hoch gelobten Vorzüge unserer freiheitlichen Demokratie in Anspruch nehmen und dann für die Abschaffung derselben in ihrem Heimatland stimmen.
Nebenbei bemerkt, fände ich es konsequent, wenn all jene türkischen Staatsbürger, die in sich an der Freiheit in den westlichen Demokratien erfreuen, sich dort eigerichtet und bei jenem Referendum für die Abschaffung der Demokratie in der Türkei gestimmt haben, konsequenterweise ganz schnell die Kurve kratzten. Das meine ich weder fremden- noch türkenfeindlich. Nur finde ich es mehr als befremdlich, wenn hier lebende türkische Wahlberechtigte die so hoch gelobten Vorzüge unserer freiheitlichen Demokratie in Anspruch nehmen und dann für die Abschaffung derselben in ihrem Heimatland stimmen.
Wie man weiß, hat es Erdoğan geschafft. Über die seltsamen Begebenheiten bei der Auszählung und Anerkennung suspekter Stimmzettel kann man trefflich streiten. Fakt ist, dass die Knallcharge vom Bosporus genau da ist, wo sie hinwollte. Erdoğans nächstes Etappenziel auf dem Weg in die totale osmanische Diktatur ist die Wiedereinführung der Todesstrafe, über die er generös das ganze Volk in einem weiteren Referendum abstimmen lassen möchte – auch seine lieben Brüder und Schwester hierzulande.
Das wäre dann wohl wieder eine überschrittene rote Linie, oder? Zumindest habe ich das Rumoren aus deutschen Politikerkreise so verstanden. Also wenn Erdoğan das macht…dann kann er was erleben. Also dann wäre der Rubikon aber dermaßen was von überschritten…dann würde die Europäische Kommission darüber nachdenken, über eine zeitlich begrenzte Aussetzung der Beitrittsverhandlungen nachzudenken.
OK, dass Erdoğan die Pressefreiheit abgeschafft hat, dass er hunderte Journallisten inhaftieren ließ, dass seine Luftwaffe fröhlich kurdische Dörfer einäschert, dass er den Islamischen Staat protegiert, das ist alles irgendwie schon Scheiße. Aber dies stellt für die westliche Wertegemeinschaft keine Sauerei dergestalt dar, dass man sie als rote Linie bezeichnen müsste, oder? Denn sonst hätte man doch bereits längst…aber wen er jetzt die Todesstrafe…also dann ist wirklich Ende Gelände. Das wäre dann…ja was eigentlich? Und vor allen Dingen weshalb?
Die Kanzlerin war gerade zu einem Staatsbesuch bei ihrem Freund Salman ibn Abd al-Aziz in Saudi Arabien – selbstredend mit einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation. Es wurde aber explizit darauf hingewiesen, dass die Saudis (derzeit) keine Waffen in der Bundesrepublik kaufen wollten; nur damit niemand auf dumme Gedanken kommt. Was Merkel allerdings entgangen ist, dass sie bei dieser Reise zu einem „wichtigen Partner in der Region“ eine dermaßen fette rote Linie überschritten, pardon überflogen hat, die man selbst in 30.000 Fuß Höhe noch locker aus dem Fenster der Regierungsmaschine hätte sehen können, wenn man sie hätte sehen wollen.
Ich fürchte, ich muss mein Traktat ergänzen: Denn ich habe mich geirrt.
Gestern hat nämlich Steffen Seibert gesagt, dass die Kanzlerin gesagt hat, dass Saudi Arabien
ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist.
Saudi Arabien ist eine barbarische, menschenverachtende, dekadente, muslimische Diktatur par excellence. Im dort herrschenden Wahhabismus ist die Todesstrafe ein fundamentales Mittel des Rechts. Vermeintliche oder tatsächliche Ehebrecherinnen werden zu Tode gesteinigt; Dieben werden die Hände abgehackt; die Beleidigung des Propheten wird mit bis zu 1.000 (!) Peitschenhieben geahndet – zusätzlich zu einer langjährigen Haftstrafe… ausgerechnet dort hält Mutti Hof, fädelt mächtige Deals für die deutsche Wirtschaft ein und mokiert sich über den Deppen aus Ankara. Hallo? Geht´s noch?
Pass mal auf Angela: den saudischen Macho interessiert es nicht die feuchte Dattel, wenn eine dicke deutsche Mutti etwas von Menschenrechten säuselt. Frauen dürfen dort nicht einmal Auto fahren und sich nur komplett schwarz verhüllt und in Begleitung eines Mannes aus dem Haus wagen. Also: Du kannst Dir die roten Linien von deinem Freund Udo Walz in die Haare schmieren lassen. Aber hör endlich auf mit Deiner peinlichen Nummer von Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Da ist nämlich bei mir eine rote Linie überschritten.
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