Ja, ich weiß, dass „Mutti“ für unsere Bundeskanzlerin ziemlich abgegriffen ist und auch ein wenig herabwürdigend, wenn man ehrlich ist. Schließlich ist Dr. Angela Dorothea Merkel, geborene Kasner, die mächtigste Frau der Welt und die allerbeste Freundin von Barack Obama, dem, gerade noch, mächtigsten Mann der Welt.
Aber ich kann nicht anders. Mutti hat sich so in meinen Gedanken verfestigt, ich kann mir noch so den Schädel zermartern, was ein passenderer Kosename wäre…mal nannte ich sie die „weltmächtigste Bundesraute“, wenn sie in lockerer Runde, oder beim obligatorischen Familienfoto auf irgendwelchen sinnlosen Gipfeln die Daumen und Zeigefinger mal wieder verkrampft und damit Ruhe (!) ausstrahlen will, mal „die Mecklenpommersche Schwerlastelfe“. Aber das ist irgendwie alles viel zu lange. Das ist nicht so griffig wie…ich lande einfach immer wieder bei Mutti.
Und jetzt mal im Ernst, statt immer nur politisch korrekt: Könnt Ihr euch die Angela nicht auch vorstellen, wie sie zu Hause mit ihrem Joachim Plätzchen backt? Also für mich strahlt Merkel dieses mütterlich Glucken-hafte aus, ein wenig rundlich, gemütlich, niemals aufbrausend und vor allen Dingen immer abwägend. Man weiß ja, dass sie nicht dazu neigt, Entscheidungen aus dem Bauch heraus zu fällen. Ihr Urgroßvater im Geiste, Konrad Adenauer, nannte jenes bedachte Vorgehen „keine Experimente“, und sein unnachahmlicher Köllner Singsang verlieh dem soeben Gesagten die entsprechend unaufgeregte Würde.
Merkel hat dieses Bonmot über die endlosen Jahre ihrer Kanzlerschaft zum obersten Leitmotiv ihres politischen Wirkens, ja, gewissermaßen zur christlich-demokratischen Kernkompetenz erhoben. Das nennt sie dann, gütig lächelnd, Verlässlichkeit, gemäß dem Lebensmotto ihres Pfälzer Mentaltrainers, der seine ungeduldigen Mitmenschen immer darauf hinwies, dass wichtig sei, was hinten rauskommt. Das hat sich Angela aber so was von zu Herzen genommen. Immer wenn Sie mit Problemen ringend, ihre Gedanken mit ideologiefreiem Schwung gekonnt an allen möglichen Experimenten vorbei geführt hat, steht am Ende „dieses schwierigen Denkprozesses“ ein finaler Entschluss – ohne jegliche Alternative, versteht sich; und die Kommentarspalten in den Leitmedien triefen jedes Mal vor peinlicher Anbiederung. Aber allmählich sollten die Damen und Herren der schreibenden Zunft sich mal überlegen, was sie hier eigentlich so dümmlich devot beklatschen. Merkel kommt mir mit ihrem komplett entschleunigten Temperament nämlich so allmählich vor, wie ein sehr, sehr zögerlicher Kunde auf dem Wochenmarkt, der zwischen zwei Kisten voller Vitamin-triefender Orangen an Skorbut erkrankt.
Oder anders ausgedrückt: wenn man partout nicht weiß, was hinten rauskommt, soll man dann warten und es darauf ankommen lassen, ob es nun Wichtig oder Scheiße ist? Neulich hat Mutti nämlich der Welt mit sorgenvollem Timbre mitgeteilt, dass sie in der Causa Recep Tayyip Erdoğan doch zu Besonnenheit rät. Die Türkei befände sich nach dem gescheiterten Putschversuch gegen die Demokratie noch immer in einem schwierigen Zustand, die Europäische Union müsse sich nun geschlossen (wahlweise auch ganz bewusst)…vor allen Dingen gemeinsam anstrengen…nach Lösungen suchen, um die Situation für die Menschen in der Türkei…bla, bla. Rhabarber..
OK, ich überlege zuweilen auch, wenn ich mich für etwas entscheiden soll, für das ich mich eigentlich nicht entscheiden möchte. Aber was Erdoğan betrifft: er hat sich längst selbst entschieden, mehrfach. Er ist ein lupenreiner Despot, ein übelster Demagoge, der wie ein Amok-fahrender Bulldozer alles zur Seite schiebt, was sein faschistoides Weltbild stört. Demokratie, Menschenrechte, Presse- und Meinungsfreiheit? Gehen ihm meilenweit am Arsch vorbei. Minderheiten? Seine Luftwaffe wird es richten. Der IS? Warum nicht? Schließlich trifft man sich ab und an zum Freitagsgebet.
Mit anderen Worten: Recep Tayyip Erdoğan schert sich einen Dreck um alles, was in Zeiten der Aufklärung, gegen den Widerstand des Klerus und „seiner weltlichen Herrscher“ und mit Tausenden von Opfern als gültiger Standard für ein friedliches und freies Zusammenleben erkämpft wurde. Was bitteschön, muss er sich denn noch an großkotziger Ignoranz, an Widerwärtigkeit und an Brutalität herausnehmen, bis Mutti mit ihren Gedanken endlich fertig hat und ihm die Tür vor der Nase zuschlägt – selbst auf die Gefahr hin, dass er ihren schäbigen Flüchtlings-Deal platzen lässt und die Grenzen nach Griechenland wieder öffnet? Muss der Goebbels vom Bosporus erst wieder eine Sportpalastrede halten?
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