Ein Mensch nimmt die Hilfe oder Dienstleistung eines anderen in Anspruch und ist mit der Ausführung sehr zufrieden. Die angebotene und in Anspruch genommene Hilfe war hilfreich, die genutzte Dienstleistung hat die Bedürfnisse oder Erwartungen vollkommen erfüllt. Die erwartete Tätigkeit wurde zur vollsten Zufriedenheit und vertragsgemäß erbracht. Trotzdem endet das gegenseitige Verhältnis im Streit. Wie kommt es dazu?
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- 1. Psychologische Mechanismen hinter der Undankbarkeit
- 2. Sozialpsychologische Erklärungen
- 3. Mögliche Fachausdrücke
- 4. Relevante Arbeiten und Theorien
- Die Abwertung von Hilfe: Ein Phänomen unserer Zeit
- Abwertung zur Wahrung des eigenen Stolzes
- Die Rolle von schwindendem Respekt
- Gesellschaftliche Ursachen und Trends
- Zeichen der eigenen Unvollkommenheit
- Fazit
In meinem Bestatterweblog.de berichte ich schon seit Jahren über dieses Phänomen. Ich nenne es dort im Zusammenhang mit dem Loslösen der trauernden Angehörigen vom hilfreichen Bestatter durch Beschwerden, Klagen und Reklamationen. Es ist zu beobachten, dass dieses Umschwingen der Stimmung oft mit dem Erhalt der Bestatterrechnung zusammenfällt. Dies scheint der perfekte Augenblick zu sein, um sich aus der emotionalen Abhängigkeit vom Bestatter zu lösen. Momente der Schwäche und der emotionalen Angreifbarkeit werden nun durch eine bewusst herbeigeführte Konfrontation in eine Art wiedergewonnene Stärke und ein wiedererstarktes Selbstbewusstsein ersetzt.
Der Moment des Rechnungserhalts ist offenbar deshalb in den Augen der Bestatterkunden ein guter Zeitpunkt, da hier der trauerbegleitende Moment und das Hineinbegeben in eine unbekannte Situation endet und in rein finanzielle, sachliche Punkte mündet.
Der zunehmend schwindende Respekt führt dazu, dass der vom Zaun gebrochene Streit heutzutage schneller, vehementer, direkter und wegen der sozialen Medien auch unangemessen öffentlich ausgetragen wird.
Dieses Verhalten lässt sich durch psychologische Mechanismen und soziale Dynamiken erklären. Es gibt Theorien, die dieses Phänomen beleuchten.
1. Psychologische Mechanismen hinter der Undankbarkeit
a) Kognitive Dissonanz
Ein zentraler Begriff aus der Sozialpsychologie ist die kognitive Dissonanz. Menschen empfinden ein inneres Unbehagen, wenn sie widersprüchliche Gedanken oder Gefühle haben. Wer Hilfe annimmt, erkennt dadurch oft unbewusst eine gewisse Schwäche oder Abhängigkeit an. Um dieses unangenehme Gefühl zu reduzieren, wird die Hilfeleistung abgewertet oder der Helfer sogar als negativ wahrgenommen. So kann das Selbstbild als unabhängig und souverän aufrechterhalten oder wiedererlangt werden.
b) Reaktanz
Reaktanz beschreibt das psychologische Phänomen, bei dem Menschen Widerstand gegen wahrgenommene Einschränkungen ihrer Freiheit entwickeln. Wenn jemand Hilfe annimmt, kann dies als Bedrohung der eigenen Autonomie wahrgenommen werden. Der Helfer wird dann nicht als Unterstützer, sondern als Symbol der eigenen Schwäche gesehen. Die Undankbarkeit oder der Streit dienen dazu, das Gefühl der Selbstbestimmung zurückzugewinnen.
c) Schuld und Scham
Empfänger von Hilfe können sich schuldig oder beschämt fühlen, da sie sich in einer Position der Abhängigkeit befinden. Um diese unangenehmen Emotionen zu bewältigen, wird der Helfer schlechtgemacht oder die Beziehung beendet, um die Verbindung zur Quelle der Scham zu kappen.
2. Sozialpsychologische Erklärungen
a) Helfer-Empfänger-Dynamik
Die Beziehung zwischen Helfer und Empfänger ist oft unausgeglichen. Der Empfänger kann das Gefühl haben, „etwas zurückgeben zu müssen“, was eine emotionale Belastung darstellt. Um dieser sozialen „Schuld“ zu entkommen, wird die Beziehung möglicherweise aktiv sabotiert.
b) Der Benjamin-Effekt
Dieser Begriff beschreibt die Tendenz, dass Menschen, die einem geholfen haben, später weniger gemocht werden. Die Theorie besagt, dass das Abhängigkeitsgefühl, das durch die Annahme der Hilfe entsteht, zu einer Abwertung des Helfers führt.
c) Beziehungsschemata
In engen Beziehungen, die durch Hilfe geprägt sind, kann das Ungleichgewicht zu Konflikten führen. Der Empfänger sieht sich in der Rolle des „Schwächeren“ und versucht, durch Streit oder Distanzierung die Beziehung wieder auf Augenhöhe zu bringen.
3. Mögliche Fachausdrücke
4. Relevante Arbeiten und Theorien
Die Abwertung von Hilfe: Ein Phänomen unserer Zeit
Es scheint, dass in unserer heutigen Gesellschaft ein auffälliger Wandel in der Wahrnehmung und Wertschätzung von Hilfe stattfindet. Wo einst Dankbarkeit und Anerkennung für Unterstützung selbstverständlich waren, nimmt die Tendenz zu, dass Hilfeleistungen nachträglich abgewertet oder gar als negativ dargestellt werden. Dies geschieht oft nicht aus böser Absicht, sondern aus psychologischen und gesellschaftlichen Mechanismen, die auf Stolz, Unsicherheit und einem wachsenden Mangel an Respekt basieren.
Abwertung zur Wahrung des eigenen Stolzes
Ein häufiges Motiv hinter der Abwertung von Hilfe ist der Wunsch, das eigene Selbstbild zu schützen. Menschen, die Hilfe annehmen müssen, empfinden dies oft als Eingeständnis ihrer eigenen Unvollkommenheit. Anstatt die Unterstützung als wertvolle Geste zu sehen, wird sie nachträglich schlechtgemacht, um das Gefühl von Abhängigkeit zu kompensieren. Es entsteht eine subtile Dynamik: Die Hilfe wird abgewertet, damit der Empfänger nicht in die Rolle des Unterlegenen gerät. Auf diese Weise wird der eigene Stolz gewahrt, auch wenn dies auf Kosten der Beziehung zum Helfer geschieht.
Die Rolle von schwindendem Respekt
Ein weiterer entscheidender Faktor ist der zunehmende Verlust von Respekt in zwischenmenschlichen Beziehungen. Früher war es selbstverständlich, die Fähigkeiten, Leistungen und das Wissen anderer zu achten. Heute scheint dieser Respekt immer mehr zu schwinden. Viele Menschen scheuen sich davor, anzuerkennen, dass jemand anderes in einem bestimmten Bereich mehr leistet, mehr weiß oder schlichtweg mehr Erfahrung hat. Stattdessen wird versucht, die Leistungen anderer kleinzureden oder deren Hilfe als unnötig oder überflüssig darzustellen.
Dieser Mangel an Respekt ist nicht nur Ausdruck einer gesellschaftlichen Veränderung, sondern auch ein Zeichen der eigenen Unsicherheit. Menschen, die Schwierigkeiten haben, ihre eigenen Schwächen oder Unvollkommenheiten zu akzeptieren, projizieren ihre Unsicherheiten oft auf andere. Indem sie die Hilfe kritisieren oder den Helfer schlechtmachen, versuchen sie, ihre eigene Position zu stärken.
Gesellschaftliche Ursachen und Trends
Dieser Trend spiegelt auch tiefgreifendere gesellschaftliche Entwicklungen wider. In einer Zeit, in der Individualismus und Selbstoptimierung hoch im Kurs stehen, wird Schwäche oder das Eingeständnis von Hilfsbedürftigkeit oft als persönliches Versagen interpretiert. Die soziale Erwartung, alles alleine schaffen zu müssen, führt dazu, dass Menschen sich schwer tun, Hilfe zu akzeptieren – und sie hinterher oft abwerten, um ihre Unabhängigkeit zu betonen.
Zudem tragen digitale Plattformen und soziale Medien dazu bei, diese Dynamik zu verstärken. Heute, da das eigene Image oft wichtiger erscheint als die Realität, wird die Darstellung der eigenen Stärke und Kompetenz zur obersten Priorität. Hilfe anzunehmen oder die Leistungen anderer anzuerkennen, passt oft nicht in dieses Bild.
Zeichen der eigenen Unvollkommenheit
Das Verhalten, Hilfe nachträglich abzuwerten, ist letztlich ein Zeichen der eigenen Unvollkommenheit. Es offenbart die Unfähigkeit, die eigene Begrenztheit und die Stärken anderer anzuerkennen. Statt die Unterstützung als Möglichkeit des Wachstums oder der Zusammenarbeit zu sehen, wird sie als Bedrohung wahrgenommen.
Dabei ist die Fähigkeit, Hilfe zu akzeptieren, kein Zeichen von Schwäche, sondern von innerer Stärke. Sie zeigt, dass man sich selbst und seine Grenzen kennt und bereit ist, von anderen zu lernen. Respekt gegenüber dem Helfer und Dankbarkeit für die Unterstützung zeugen von Charakter und Reife – Eigenschaften, die in unserer Gesellschaft wieder stärker in den Vordergrund treten sollten.
Fazit
Das Verhalten lässt sich durch psychologische und soziale Mechanismen wie kognitive Dissonanz, Reaktanz und Schuld erklären. Diese Dynamiken führen oft dazu, dass Helfer nicht die erwartete Dankbarkeit erfahren, sondern stattdessen Konflikte entstehen. Es handelt sich um ein komplexes Phänomen, das tief in menschlichen Emotionen und sozialen Strukturen verwurzelt ist.
Das beschriebene Verhalten, bei dem Personen nach dem Erhalt von Hilfe undankbar reagieren oder sich negativ gegenüber dem Helfer verhalten, wurde in der psychologischen Forschung untersucht. Ein zentraler theoretischer Rahmen zur Erklärung dieses Phänomens ist die Theorie der psychologischen Reaktanz. Diese Theorie besagt, dass Menschen einen motivationalen Zustand erleben, wenn sie eine Einschränkung ihrer Freiheit wahrnehmen, was sie dazu veranlasst, die bedrohte Freiheit wiederherzustellen. In diesem Kontext kann die Annahme von Hilfe als Bedrohung der eigenen Autonomie empfunden werden, was zu negativen Reaktionen gegenüber dem Helfer führen kann. (link.springer.com)
Zudem gibt es Studien, die sich mit den Auswirkungen von Dankbarkeit und Undankbarkeit auf zwischenmenschliche Beziehungen befassen. Diese Untersuchungen zeigen, dass das Ausdrücken von Dankbarkeit positive Effekte auf das Wohlbefinden und die Beziehungsqualität hat, während das Fehlen von Dankbarkeit oder das Zeigen von Undankbarkeit zu Spannungen und Konflikten führen kann. (link.springer.com)
Obwohl spezifische empirische Studien, die direkt den Zusammenhang zwischen empfangener Hilfe und anschließender Undankbarkeit oder negativem Verhalten gegenüber dem Helfer untersuchen, in den verfügbaren Quellen nicht identifiziert wurden, bieten die genannten theoretischen Ansätze wertvolle Erklärungen für dieses Verhalten. Für weiterführende Informationen kannst Du in wissenschaftlichen Datenbanken nach Studien suchen, die Begriffe wie „psychologische Reaktanz“, „Dankbarkeit“, „Undankbarkeit“ und „Hilfeverhalten“ kombinieren.
Der wachsende Trend zur Abwertung von Hilfe sollte uns Anlass zum Nachdenken geben. Er zeigt, wie wichtig es ist, an unserer Haltung gegenüber anderen und uns selbst zu arbeiten. Statt die Leistungen und das Wissen anderer abzuwerten, sollten wir lernen, sie zu schätzen. Statt Hilfe als Schwäche zu betrachten, sollten wir sie als Chance sehen.
Wenn wir uns gegenseitig mit Respekt und Dankbarkeit begegnen, schaffen wir ein Klima, in dem Hilfe nicht als Zeichen von Überlegenheit oder Abhängigkeit gesehen wird, sondern als Ausdruck menschlicher Verbundenheit. Dies ist nicht nur ein Gewinn für den Einzelnen, sondern für die Gesellschaft als Ganzes. Denn letztlich sind es Respekt, Dankbarkeit und Zusammenarbeit, die uns voranbringen – nicht Abwertung oder Stolz.
- streit1: Peter Wilhelm
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