Kerzenduft und Tupperparty
Ich komme zur Haustüre herein und mich umfängt ein unglaubliches Geruchserlebnis. Apfel im Schlafrock in nasolabialer Vermählung mit Orange in Vanillesauce, dazu Tabak, Weihrauch und Tannenduft. Jede einzelne Geruchskomponente für sich wäre vielleicht zu ertragen gewesen, aber alles zusammen verursacht mir nahezu einen Würgereiz.
Die Rentner vom Hochparterre stehen im Verdacht, die Verursacher dieser Geruchskakophonie zu sein, denn bei denen riecht es sowieso immer etwas komisch aus der Wohnung. Und so wie das riecht, besteht durchaus die Möglichkeit, daß die schon etwas länger tot in der Wohnung liegen. Also schnell vorbei an deren Tür und mit angehaltener Luft ab nach oben in unsere Wohnung. Kaum habe ich jedoch die Wohnungstüre aufgeschlossen, muß ich feststellen, daß der Quell dieser geruchstechnischen Unerfreulichkeit in meinen eigenen vier Wänden liegen muß, denn es verschlägt mir schier den Atem. Sollte etwa während meiner Abwesenheit in meiner Wohnung eine Horde Rentner verstorben sein?
Aus dem Wohnzimmer dringt lautes Gekicher und Gegacker an mein Ohr und ich nähere mich dem Ort meiner feierabendlichen Entspannung mit Vorsicht. „Suuuuper“, klingt es aus dem Wohnzimmer, gefolgt von einem „Aaaach was schöööhön!“
Ganz langsam und vorsichtig biege ich vom Flur ins Wohnzimmer und finde dort meine Allerliebste inmitten eines halben Dutzend anderer Frauen, die mir nur zum Teil bekannt sind und die alle „Aaaaah“ und „Oooooh“ machen.
Die Luft ist geschwängert von Düften, die kein normaler Mann ertragen kann und unter der Decke wabbert gelblich grüner Nebel.
Dann sieht mich die Allerliebste, hüpft auf mich zu, umarmt mich, drückt mir einen gelben, häßlichen Kerzenstummel in die Hand und fordert mich auf: „Los, riech mal, riecht suuuuper!“
Und genau in diesem Moment erkenne ich wo ich gelandet bin: Inmitten einer Kerzenparty!
Eine der Damen ist nämlich Jutta Küppersberg und Jutta Küppersberg verdient sich mit Kerzenparties was nebenher und heute macht sie das ausgerechnet bei uns. In meinem Wohnzimmer findet eine Kerzenparty statt!
Nicht allein, daß ich nichts von dieser Zusammenkunft der Hühner wußte, nicht schlimm genug, daß die alle von meinem leckersten Likör getrunken haben, den ich im übrigen nur angeschafft habe, um Tante Frieda bei ihren zwar seltenen, aber umso lästigeren Besuchen schnell betäuben zu können, nein, die Frauen haben auch noch Duftkerzen angezündet!
Gibt es etwas Schrecklicheres als Duftkerzen auf der Welt?
Kerzen flackern, Kerzen geben kein vernünftiges Licht und Kerzen rußen und verbrauchen Sauerstoff. Im Grunde spricht also seit der Erfindung der elektrischen Beleuchtung nichts, aber auch gar nichts, für die Verwendung von Kerzen. Allein die Tatsache, daß sie eine manchmal recht romantische Ausstrahlung haben, verleiht ihnen eine klitzekleine Daseinsberechtigung.
Aber müssen sie dabei duften? Wozu?
Und wenn schon, dann sollen Kerzen nach Kerze riechen, also nach Wachs, nach Ruß und Flamme aber doch nicht nach Maiglöckchen an Madeirasauce!
Überhaupt gehören alle Zusammenkünfte dieser Art verboten. Wenn sich so viele Frauen zusammentun, kann nichts Gutes dabei herauskommen. Meine Allerliebste sieht das natürlich ganz anders: „Das macht Spaß, das ist lustig und ich kaufe doch sowieso nie was!“ Aber wenn ich mich so in unserer Wohnung umschaue, dann straft jede Ecke unserer Behausung meine Allerliebste Lügen!
In der Küche kann ich jeden Schrank öffnen, von überall purzeln mir Plastikbehälter der amerikanischen Firma Tupper entgegen. Döschen für dies, Boxen für das und lauter kleine unpraktische Küchenhelfer aus Plastik, deren wahre Bedeutung ein Mann niemals erkennen können wird und erkennen will. Und es kommt noch schlimmer: Spätestens eine Woche nach der Anschaffung hat auch die Allerliebste erstens vergessen, wozu die diversen Plastikteile nochmal gut waren, und zweitens daß sie überhaupt existieren!
Frau Nassenkamp hieß die Tante, die vor gut einem Jahr im Kreise der Hühner ihre Plastikdosen angepriesen hat. Jedes zweite Wort war „phantastisch“ und das andere lautete jeweils „spektakulär“. Allein mit diesen beiden Worten schaffte sie es, jedem der Hühner Waren im Wert von 150 Euro anzudrehen. Die Allerliebste kaufte natürlich nichts, nur ein paar Kleinigkeiten, eigentlich gar nicht der Rede wert, im Grunde gar nichts: 300 Euro.
Die Hühner saßen gerade im Kreis und ploppten mit den Dosen um die Wette, als ich dazukam. Allein schon meine, nur ganz nebenbei eingeworfene Bemerkung, man könne auch wunderbar die Dosen von Quark, Eis und Krautsalat wiederverwenden, brachte mich an den Rand des Teerens und Federns.
Die Nassenkamp zog angewidert die Augenbrauen hoch und hielt ein gebogenes Plastikteil in die Höhe: „Unser neuer Apfelsinenschäler!“
Okay, sie hat gewonnen, so was kann man aus den Krautsalatdosen von ALDI nicht bauen…
Die tuppernde Nassenkamp war aber nur der Auftakt einer ganzen Reihe von Verkaufsdamen, die mit der duftenden Kerzen-Jutta auch noch nicht zu Ende sein sollte.
Am eindringlichsten ist mir Frau Bösenwart-Dankersheimer in Erinnerung, jene Vertreterin eines Schweizer Unternehmens, das vollautomatische Käsefonduemaschinen herstellt. Natürlich kann man diese hervorragenden Käsefonduemaschinen nur direkt auf solchen Verkaufparties erstehen und weil man kein Geld für teure Fernsehwerbung ausgibt, ist man in der Lage diese wunderbaren Erzeugnisse schweizerischer Feinmechanikerkunst für nur 2.385 Euro quasi zu verschenken.
Dafür kann das Käsefonduemaschinchen dann aber auch eine ganze Menge! Man kann damit nicht nur gewöhnlichen Schweizer Käse auflösen, den man dann mit Brot auftupft. Nein! Diese Maschine kann auch G’brenzzer Käs’ und Chichliburger-Chaas auflösen und natürlich den Graubündener Eselkäse und den Tessiner Höhlenfurzer-Käs’.
Toll!
Im Unterschied zu allen anderen Verkaufs- und Partytanten stieß Frau Bösenwart-Dankersheimer sogar bei den anfangs recht begeisterten Hühnern auf mehr als taube Ohren. Das Maschinchen war ihnen einfach viel zu teuer. Außerdem, und das scheint mir das Hauptproblem an eben dieser Verkaufsform zu sein, macht Käse wahnsinnig schnell satt.
Schon nach dem G’brenzzer Käs’ begannen die ersten Hühner zu streiken und nach dem Chichliburger-Chaas winkten auch die letzten Chicken ab. Doch die Bösenwart-Dankersheimer hätte noch so viel zu sagen, noch so viel zu erklären gehabt, um auch die letzten Vorzüge ihrer Käsefonduemaschine herausstellen zu können.
Zum Beispiel hätte sie gerne noch den innen hohldrehenden Käsequirl näher erläutert, doch dann kam ich ins Spiel.
Mit den Worten: „In der Kellerbar gibt’s Schnaps!“ hatte ich die Hühner gefesselt und gefangen. Im Gänsemarsch, also eigentlich im Hühnermarsch folgten sie mir, käseübersättigt und vom G’brenzzer Chaas rüpseld nach unten, ich servierte gut gekühlten Klaren und wir hatten alles in allem noch einen sehr lustigen und netten Abend.
Als wir wieder nach oben kamen, war außer etwas Käsedunst in der Raumatmosphäre von Frau Bösenwart-Dankersheimer und ihrer Käsefonduemaschine nichts mehr aufzufinden.
Diese Strategie habe ich seitdem konsequent beibehalten. Und so mache ich es auch heute. Während die Kerzenjutta gerade eine besonders häßliche und besonders dicke Kerze aufbaut und verkündet, die würde jetzt ganz doll nach Rotbuschtee riechen, sage ich nur das Zauberwort „Kellerbar“ und schon gackern die Hühner mit mir nach unten.
Der Abend ist gerettet!
Hoffentlich lüftet die Kerzenjutta bevor sie geht.
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