Internet

Kapern, Brötchen und Bockwurst

Abmahnungen

Ist es eine fiese Masche, wenn ein Fotograf tausende Fotos von Lebensmitteln ins Netz stellt und dann Leute abmahnen lässt, die diese Bilder ohne ihn zu fragen verwenden?

Diesen Text schrieb ich 2007. Aber er ist immer noch sehr aktuell:

Marion hat im Internet eine Rezepteseite und einen Kochclub und Marions Partner Folkert fotografiert dafür Brötchen, Würstchen, Kapern und auch schon mal ein Leipziger Allerlei. Das kann der Folkert ganz toll und noch toller kann er Bilder im Web platzieren und so ist es nicht verwunderlich, dass seine vielen schönen Bilder bei der Google-Bildersuche ganz vorn liegen und gut gefunden werden.

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Bei vielen Internetbenutzern hat sich aber die Meinung breit gemacht, nahezu alles im Web sei kostenlos und man könne es einfach nehmen und benutzen; alles andere ist Abzocke und grauenvoller Kommerz. Seitenbetreiber müssen ihren Lesern/Besuchern Inhalte bieten und wenn man schon nicht genügend Grips in der Birne hat, um sich selbst etwas auszudenken, dann kopiert man eben einfach Texte von anderen Seiten. Weil Texte aber nur lebendig wirken, wenn auch die passenden Bilder dabei sind, klaut man eben noch schnell ein paar Fotos, die jemand anders geschossen hat. Und weil man zu faul ist, sich die passenden Fotos aus den freien Bilddatenbanken zusammenzusuchen und darüberhinaus auch noch so doof ist, nicht wenigstens nach einer privaten Bilderquelle in Argentinien zu suchen und weil man ja sowieso drei Kameras zu Hause hat, aber keine Lust hat, ein Foto selbst zu schießen, nimmt man einfach die erstbesten Bilder aus der Google-Bildersuche.

Wir halten also bis jetzt einmal fest: Man muss faul, doof und lustlos sein, um so etwas zu machen.
Diese drei Attribute lassen sich auch noch um ein viertes erweitern, nämlich blöd.
Blöd ist man dann, wenn man heute, wo in jedem Forum und Weblog über die Urheberrechte diskutiert wird, glaubt, man könne das einfach so machen und käme damit auch noch ungeschoren davon.

Leute wie Marion, Folkert und viele andere Kreative verdienen ihr tägliches Brot mit Texten, Bildern oder Tönen. Und um den Euphemismus „tägliches Brot“ einmal aufzulösen: sie verdienen damit Geld. Dieses Geld brauchen Kreative um ihre Miete bezahlen zu können, um bei ALDI Lebensmittel zu kaufen und um Versicherungen usw. zu bezahlen.

Der eine Kreative schreibt Artikel für Zeitschriften, der andere für sein Weblog oder seine Kochbuchseite. Der eine fotografiert für einen Kunstbildband, der andere für seine Webseite.
Käme irgendeiner auf die Idee, in der nächsten Buchhandlung einfach aus einem Kunstbildband ein paar Seiten mit schönen Bildern herauszureißen? Gibt es Leute, die so bescheuert sind, dann als Argument anzuführen, sie könnten die Bilder aber gerade eben super gebrauchen?
Nein, das widerstrebt jedem (außer TAZ-Lesern, die machen sowas! 1)
Und was ist eigentlich im Hirn der Leute falsch gelaufen, dass sie meinen, das Internet sei etwas völlig Anderes und sozusagen ein rechtsfreier Raum?

Da haben wir also nun die typische Klassifizierung eines Text- bzw. Bilderdiebes: Er ist faul, doof, lustlos, blöd, bescheuert, dumm und in seinem Hirn läuft irgendwas falsch. Möglicherweise treffen nicht immer alle Punkte zu, vielleicht oder sogar wahrscheinlich kommen bei dem einen oder anderen noch etliche andere Punkte hinzu.
(Hier zum kostenlosen Ausschneiden: beknackt, dämlich, idiotisch, saudumm, hirnverbrannt, bekloppt)

Es gibt auch überhaupt keine Entschuldigung für solchen Contentdiebstahl. Denn selbst wenn die eigenen Motive sich vielleicht noch so eben verstehen lassen, es geht auch um die Folgen. Nehmen wir an, ich würde ein Bild von Marion und Folkert auf meine Seite stellen, auf dem ein Ei dargestellt ist. Da könnte ich folgende Begründungen anführen:

1. Es ist ja bloß ein Ei.
2. Meine Seite steht ja nicht in Konkurrenz zu Marion und Folkert
3. Meine Seite hat ja gar keine besondere Verbreitung
4. Ich hatte gerade kein Ei, keine Lust, keine Kamera
5. Ich hab das gar nicht gewusst, dass man das nicht darf
6. Bei Folkerts Bildern steht ja nix dabei, dass er der Urheber ist
7. Selbst Schuld, wenn er die Bilder ins Web stellt.

Der Richter wird später ungefähr wie folgt urteilen: Es spielt keine Rolle, ob es sich um ein Ei oder den Papst handelt. Die Konkurrenzfrage ist vollkommen unerheblich. Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.

Mir ist doch vollkommen bewusst, dass die allermeisten Rechtsverletzer sich nichts Böses dabei denken, sondern einfach nur aus Bequemlichkeit oder mangelndem Unrechtsbewusstsein handeln. In vielen Fällen würde man als Urheber sogar die Benutzung tolerieren, wäre da nicht der Folgeeffekt.
In der Folge tauchen nämlich die geklauten Bilder und Texte nicht mehr nur beim Urheber, sondern auch bei dem Content-Dieb auf. So kann es kommen, dass die geklauten Inhalte bei Google deutlich vor den ursprünglichen Inhalten gelistet werden.
Nehmen wir ein Beispiel: Folkert fotografiert ein Schnitzel. Durch dieses Foto und das dazugehörige Rezept von Marion liegen die beiden bei Google zum Thema Schnitzel ganz weit vorn. Nun klaut jemand das Bild, etwa um auf einer Spaßseite einen völlig themenfremden Artikel damit zu dekorieren, etwa unter der Überschrift „Donald Trump sieht aus wie ein Schnitzel“.

Möglicherweise liegt er aber dann beim Thema Schnitzel künftig vor Folkert und Marion, obwohl er das gar nicht will und mit Schnitzeln eigentlich nichts zu tun hat. Folkert und Marion gehen aber unter Umständen wichtige Besucher verloren und sie haben dadurch einen wirtschaftlichen Schaden erlitten.
Eine weitere Folge ist, dass das Bild nun ohne weiteren Hinweis auf das Urheberrecht auch beim Content-Dieb auf der Seite zu finden ist und hemmungslos dort weiter heruntergeladen, geklaut und verbreitet wird. Folkert würde aber vielleicht gerne gegen gute Bezahlung auch für andere Leute Schnitzel oder Rollbraten fotografieren, kann aber auf diesem Gebiet nicht mehr viel verdienen, weil seine Bilder mittlerweile wie Allgemeingut behandelt und fröhlich weiterverteilt werden.

Folkert blüht aber sogar noch weiteres Ungemach! Geht er beispielsweise gegen einen besonders dreisten Urheberrechtsverletzer vor, kann es ihm passieren, dass nun er selbst in Beweisnot gerät und stichhaltig belegen muss, dass er wirklich der wahre Urheber ist. Da das Bild ja „überall frei zu haben ist“, wird der gegnerische Anwalt keck behaupten, er habe es selbst auch nur geklaut. Desweiteren kann er in die Not geraten, beweisen zu müssen, wie ernst es ihm mit der Wahrnehmung seiner Interessen ist. Bei Tausenden von Fundstellen, gegen die er nichts unternommen hat, wird es ihm schwerfallen, zu beweisen, dass ausgerechnet bei dieser einen Fundstelle ein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist usw. usw. usw.

Natürlich kann man das Gefühl haben, dass da vielleicht sogar eine Masche oder ein System dahintersteckt. Die könnte so aussehen, dass man ganz viele Bilder und Texte von allgemeinem Interesse ins Web stellt und dann ordentlich Kasse damit macht, dass man die Fremdnutzer abmahnt.
Auf der anderen Seite habe ich mir aber überlegt, wer denn eigentlich der böse Bube ist. Ist es der Ladenbesitzer, der seine Sachen so verführerisch in die Regale stellt, oder ist es der Ladendieb, der sich die Sachen einfach nimmt oder ist es der Ladendetektiv, der ihn schnappt?

Allmählich komme ich zu der Erkenntnis, dass vor dem Hintergrund des augenblicklich herrschenden Abmahnklimas auch viele Opfer zu Tätern gemacht werden, selbst wenn sie „nur“ Eier oder Rollbraten knipsen.

Ich finde, man hat sowieso genug damit zu tun, den ganzen Abmahnungs-Fallstricken aus dem Weg zu gehen, und da sollte man die Finger vom Contentklau lassen.

Es gibt viel größere Gemeinheiten und vermeintliche Ungerechtigkeiten, die Aufregung wert sind. Schnell hat man unbedacht, unbemerkt und unbeabsichtigt etwas gemacht, wodurch man wirklich ohne Schuld eine Abmahnung auslöst. Hier sollte die Politik endlich was machen! Aber es kann mir doch keiner erzählen, dass er keine Ahnung davon hat, dass man Bilder, Texte und Töne nicht einfach klauen darf. Wer es dennoch tut, der ist eben (s.o.) doof, blöd und behämmert.

Ich will den Abmahnkanzleien und den böswilligen Abmahnern nicht das Wort reden. Ich leide ebenso unter diesem Scheiß, wie alle anderen auch. Immer wieder werde ich zum Opfer von Machenschaften verschiedenster Art.
Aber letztendlich spielt es keine Rolle, ob ich im Laden eine Flasche Schnaps klaue oder aus Versehen mit dem Mantel aus dem Regal fege. Dem Schnapsverkäufer entsteht ein Schaden, den ich bezahlen muss und für den ich evtl. bestraft werden kann.

Nun macht man natürlich einen Unterschied zwischen jemandem, der sich in krimineller Absicht eine Flasche Schnaps einsteckt und jemandem, der aus Versehen eine Flasche zerbricht.
Manch ein Kaufmann wird sogar über den verursachten Schaden hinwegsehen, wenn der Flaschenrunterwerfer ohne böse Absicht gehandelt hat.

Und so sollte es bitte auch mit dem ganzen Abmahnwahnsinn sein. Mittlerweile sind ja Abmahnungen gedeckelt, wenn der Urheberrechtsverstoßer ein Privatmann ist. Bin ich auch. Aber hat man nur eine Werbeanzeige auf seiner Seite oder können die Leser irgendwas auf der Webseite kaufen, dann ist man kein Privatmann mehr, sondern betreibt seine Seite mit einer Gewinnerzielungsabsicht und muss sich behandeln lassen, wie ein Großkonzern.

©2007

Bildquellen:
  • abmahnungen: Peter Wilhelm KI

Fußnoten:

  1. Neulich an der Tanke: Ein Typ nimmt sich eine TAZ, dann reißt er aus der Computer-BILD die DVD raus und steckt sich die einfach ein. Ich gucke erstaunt und er sagt: „Ich werfe dem Springer doch kein Geld in den Rachen!“ Hallo! Axel Springer ist tot! (zurück)

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Lesezeit ca.: 11 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 17. März 2025

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