Spitze Feder

Fidel Castro – Ein Nachruf

Fidel

Mein Nachruf

Um es gleich vorweg zu sagen: dies ist kein Nachruf auf mich.
Kann natürlich sein, dass es Zeitgenossen gibt, die zu gerne einen Nachruf auf mich lesen würden. Sorry Leute, ihr müsst Euch noch ein wenig gedulden.

Dieser Nachruf gilt Fidel Alejandro Castro Ruz.

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Er dient dazu, um vielleicht den einen oder anderen Aspekt hervorzuheben, den die Leitmedien nonchalant unter den Teppich kehren.
Dieses „Unter-den-Teppich-kehren“ ist übrigens etwas fundamental anderes, als Lügen zu verbreiten, aber im Endeffekt nicht unbedingt besser.

In den Meldungen heißt es:
Der letzte kommunistische Diktator, der sein Land mit eiserner Hand… Oppositionelle blutig verfolgt… ein Volk in Geiselhaft… Exilkubaner in Miami feien ausgelassen mit fröhlichen Auto-Corsos, Hup-Konzerten, Havanna-Zigarren, Champagner… endlich Hoffnung auf Reformen… Öffnung des Kubanischen Marktes…
der übliche Zinnober eben.

Er wird noch lange klampfen können, bis sich grundlegend etwas ändert.

Und bevor jetzt der zu erwartende Gutmenschen-Shitstorm über mich hereinbricht:
Ich bin ein fundamentaler Gegner jedweder Repressalien und/oder Verfolgung politisch Andersdenkender Und deshalb liegt mir nichts ferner, als Castro einen Heiligenschein zu verpassen.
Wie alle Leader auf seinem Level, hatte auch Castro mit der Meinung anderer so seine Probleme, und sich in den Wirren der Revolution (oder auch danach) mit Blut besudelt.

Allerdings bin ich auch der Meinung, dass wir eine reichlich versiffte Haustür unser Eigen nennen, vor der wir erst mal ordentlich kehren sollten, bevor wir uns über den Dreck beim Nachbarn echauffieren.

Wir haben mit Augusto Pinochet, Manuel Noriega, Alfredo Stroessner und all den andren Verbrechern in Lateinamerika jahrelang gute Geschäfte gemacht. Die Situation der Menschen in Chile, Panama oder Paraguay ging uns, gelinde gesagt, meilenweit am Arsch vorbei, denn die Herren Präsidenten waren ja die Guten und deren Konten in der Schweiz sprachen Bände vom Geschäftssinn dieser Bande. Und inwieweit die Tatsache, dass so manch einer von ihnen alten Nazischergen jahrzehntelang Obdach gewährte, beim Am-Arsch-Vorbeigehen und Wegsehen eine Rolle spielte, mag sich jeder selbst ausmalen.

Wer wegsieht, wenn lateinamerikanische Potentaten ihre Völker ausbeuten und Nazis Obdach gewähren, der sollte den Ball schön flach halten, was eine Verurteilung Fidel Castros betrifft.

Da jedes Land der Welt, die Bundesrepublik eingeschlossen, ob nun als demokratisch apostrophiert, oder auch nicht, in Fragen von Menschenrechten und Meinungsfreiheit nach wirtschaftlicher und/oder geostrategischer Interessenlage changiert, sollten gerade wir im aufgeklärten Westen den Ball schön flach halten, was eine Verurteilung Fidel Castros betrifft.

Bis zum Januar 1959 hatten US-Firmen wie die United Fruit Company Kuba als ihr Privateigentum betrachtet, der Diktator Fulgencio Batista sorgte mit der Machete und Blutorgien an der Bevölkerung für Ruhe und Ordnung. Und die Las-Vegas Mafiagröße Meyer Lansky „investierte“ mit Wissen (oder gar dem Segen?) des Oval Office in Immobilien.
Kuba war faktisch das karibische Bordell der US-Oberschicht und der Mafia – was ja irgendwo das Gleiche war und ist.

Sie haben die Schnauze voll vom wirren Zottelgreis

Bis eben Castro mit seinen Gefolgsleuten die ganze widerliche Krätze von der Insel jagte und den Kubanern ihr Land und ihre Würde zurückgab.
Dass die Familie Bacardi von der Revolution nicht so begeistert war, kann man nachvollziehen. Sie hatten an dem Leid ihrer Mitbürger und dem perversen Treiben jahrelang fettes Geld verdient und mussten ihr Milliardärs-Dasein fortan im US-Exil in Miami fristen.

Bis eben Castro mit seinen Gefolgsleuten die ganze widerliche Krätze von der Insel jagte und den Kubanern ihr Land und ihre Würde zurückgab.

Aber das ist natürlich wieder nur eine Verschwörungstheorie eines unverbesserlichen Altlinken. Ebenso wie die hanebüchene Behauptung, Karol Wojtyła alias Johannes Paul II., habe Lech Wałęsa und seine Solidarność mit über 50 Millionen US-Dollar gesponsert, damit dieser das vom Vatikan verhasste kommunistische Regime in Polen wegfegen konnte.
Oder die unglaubliche Behauptung, die Ikone der Integrität, Nelson Mandela habe bei den Verhandlungen über seine Freilassung Südafrika an den IWF verhökert – nachzulesen in dem Thriller „Weltmacht IWF, Chronik eines Raubzuges“ von Ernst Wolff. Was das alles mit Castro zu tun hat? Nicht viel, aber um so mehr mit Kuba.

Jener IWF scharrt nämlich, stellvertretend für die Wall-Street, aufgeregt mit den Hufen, um dem ausgebeuteten Inselstaat und den unterjochten Kubanern endlich Freiheit zu schenken, endlich Demokratie angedeihen zu lassen und in diesem edlen Zuge auch die notwendigen Reformen für Wachstum, Aufschwung und Arbeitsplätze….

Die Kubaner haben keinen Bock mehr auf wirre, sozialistische Dauerreden eines greisen Zottelbartes

Die Jugendlichen auf Kuba scharren ebenfalls ungeduldig mit den Hufen. Sie haben keinen Bock mehr auf sozialistische Dauerreden eines greisen Zottelbartes, sie haben die alten V-8 Limousinen sowas von satt, sie wollen leben, wollen Cola, Levis, und vor allen Dingen Smart-Phones. Sie wollen twittern, sie wollen bei Facebook mit anderen Gleichgesinnten den Daumen hoch…

Warten auf Cola, Handy und Facebook…

Sei ihnen von Herzen gegönnt. Sie werden all das bekommen: ihre Cola, ihre Levis, ihre Smart-Phones, ihren Facebook-Account.
Dauert allerdings noch etwas.

  • Erst wenn die US-Immobilien-Multis sich die alte Bausubstanz in Havanna zu Spottpreisen unter den Nagel gerissen und luxus-saniert haben, dass kein Kubaner sich die Mieten mehr wird leisten können,
  • erst wenn Wall-Mart die einheimischen Gewerbetreibenden mit konkurrenzlos billigem Ramsch aus Vietnam plattgewalzt hat,
  • erst wenn in Kuba nach einem halben Jahrhundert bleierner kommunistischer Diktatur endlich Demokratie und Marktwirtschaft herrschen,
  • erst dann können die Ungeduldigen ihre Cola, ihre Levis, ihre Smart-Phones und ihren Facebook-Account haben.

Dann werden die heutigen Jugendlichen, also in 10 Jahren als Erwachsene, in völlig überfüllten Wartezimmern via Smart-Phone erstaunt googeln können, dass zu Zeiten des Diktators Castro die Krankenversorgung nix gekostet hatte, und dass ihre Eltern und Großeltern stolz darauf waren, und dass auf Kuba jedes Jahr tausende von Ärzten aus Lateinamerika ausgebildet wurden, und das Fidel Castro eben keine Milliarden auf Schweizer Konten geschleust hatte, und das er vielleicht doch kein blutiger Diktator war, sondern, bei aller berechtigter Kritik, ein Mann des Volkes?

Aber dann wird es zu spät sein.
Schade, eigentlich.

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    Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
    Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

    Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

    Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

    Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

    Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Grohmüller: © 9. Dezember 2016 | Revision: 3. Februar 2020

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