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Die Coktailkirsche – Sind die Kirschen im Dosen-Fruchtcocktail „echt“?

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Fruchtcocktail nennen es die einen, ich nenne es „gemischtes Dosenobst“. Diese in Konservendosen angebotenen Fruchtstücke kennt jeder. Sie werden gerne in Eisdielen und Restaurants zur Dekoration von Desserts eingesetzt, gerne in Kombination mit der ebenfalls verpönten Sprühsahne.

Wer Fruchtcocktail kauft, der weiß, dass er da kein frisches, vitaminreiches Obst kauft, sondern ein industriell hergestelltes und standardisiertes Produkt aus Asien, das möglichst günstig sein soll. Es dient in erster Linie als Dekorationsbeilage und soll einen fruchtig-süßen Geschmack vermitteln.

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Was genau in den Dosen enthalten ist, ändert sich hin und wieder, weshalb auf der Zutatenliste von „veränderlichen Gewichtsanteilen“ die Rede ist. Meist sind es Birnen, Pfirsiche, Ananas und immer mit dabei 4-6 halbe oder ganze Cocktailkirschen.
Das sind helle, unglaublich gleichmäßig rote kleine Kirschen, die man auch sortenrein im Glas als Kaiserkirschen o.ä. kaufen kann. Auch dann sind sie nicht als Kirschkonserve gedacht, sondern als Dekorationskirschen für Torten und Nachtische. Genau aus diesem Grund sind sie so gleichmäßig groß, so gleichmäßig hell und gleichmäßig rot. Noch extremer ist das bei den regelrechten Cocktailkirschen oder Maraschino-Kirschen, die zusätzlich noch in einen dicken Sirup eingelegt und mit Bittermandelaroma „marzipanisisert“ werden.

Da solche Kirschen nicht so am Baum wachsen, greifen die Hersteller hier in die Trickkiste. Kurz gesagt: Kirschen sortieren, um die gleichmäßige Größe hinzubekommen, Kirschen entfärben und dann gleichmäßig wieder einfärben. Voilá!

Nun hat aber eine Leserin des Dreinbeinblogs die Verschwörungstheorie entwickelt, es handele sich bei diesen Kirschen gar nicht um echte Kirschen, sondern um etwas Nachgemachtes.

Sind die Kirschen im Dosen-Fruchtcocktail „echt“?

„In diesem Fruchtcocktail sind doch gar keine echten Kirschen! Das sind doch Fruchtstücke aus anderem Obst. Hab ich so beim Sebastian Lege im ZDF gesehen! Das sind nur anderes Obst in Zuckerwasser. Stimmt’s oder habe ich recht?“

Sebastian Lege ist dafür bekannt, dass er Selbstverständlichkeiten aus dem Bereich der Lebensmittelherstellung und -verarbeitung als sensationell anmutende Enthüllung darstellt und dann versucht, mit Küchenmitteln die industriellen Abläufe nachzumachen. Das gelingt in aller Regel nur marginal und rudimentär, was dann oft zu optisch und geschmacklich fragwürdigen Ergebnissen führt. Dies wird dann als Beleg für die vermeintlich schlechte Produkt- und Produktionsqualität hergenommen. Ein etwas fragwürdiges Vorgehen, meiner Meinung nach.

Die kurze Antwort

Die roten Cocktailkirschen sind echte Kirschen – nur sind sie industriell sehr stark „veredelt“: entsteint, gebleicht, in Zucker eingelegt und wieder eingefärbt. Das Ergebnis ist dekorativ, lange haltbar und schmeckt nach „Kirsch-Erinnerung“ statt nach Baumobst.

Was genau sind Cocktailkirschen?

Moderne Maraschino-/Cocktailkirschen werden meistens aus hellen Süßkirsch-Sorten hergestellt, etwa Royal Ann/Napoleon. Diese eignen sich gut, weil sie festes, helles Fruchtfleisch haben, das sich gleichmäßig färben und in Form halten lässt. 12

Wie werden sie gemacht? – Der industrienahe Ablauf

  • Entsteinen & Bleichen: Die Früchte kommen in eine „Brine“ (Salzlake) mit Schwefeldioxid/Bisulfit und Calciumchlorid. Dadurch verlieren sie die natürliche Farbe und bleiben fest.
  • Versüßen: Danach baden sie in dickem Zuckersirup – das konserviert und stabilisiert die Textur.
  • Färben & Aromatisieren: Schließlich werden sie mit zugelassenen Lebensmittelfarben wieder knallrot gemacht (klassisch Erythrosin/„Red No. 3“ oder heute häufiger Allura Red/„Red 40“, teils auch natürliche Farbstoffe) und mit Aromen wie Bittermandelöl versetzt.

Das Ergebnis heißt in der US-Lebensmittelpraxis „Maraschino Cherries“ – die offizielle Produktdefinition lautet sinngemäß: „gefärbt, zuckergesättigt, in Sirup mit Bittermandel-Geschmack verpackt“.

Wie der Fruchtcocktail populär wurde – und warum die Cocktailkirsche „alkoholfrei“ ist

Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Fruchtcocktails aus den USA nach Europa und wurden in den Wirtschaftswunderjahren zu einem Symbol für Luxus und Internationalität. Man darf nicht vergessen: Exotische Früchte wie Ananas, Pfirsiche oder Papaya waren damals teuer und schwer erhältlich. Eine bunte Obst-Mischung aus der Dose – oft mit sahnigem Dessert oder als dekorativer Obstsalat serviert – wirkte daher modern, weltläufig und ein wenig glamourös.

Die im Fruchtcocktail enthaltenen Kirschen haben allerdings eine eigene Geschichte. Ursprünglich handelte es sich um in Alkohol eingelegte Kirschen (etwa in Maraschino-Likör), die Cocktails nicht nur schmückten, sondern ihnen auch einen zusätzlichen „Kick“ und ein typisches Aroma gaben. Mit Beginn der Prohibition in den USA (1920–1933) suchte man nach Alternativen: alkoholfreie Cocktails wurden en vogue – und die Kirschen wanderten statt in Likör nun in Zuckersirupe und Aromalösungen. So entstand die heute verbreitete, kindertaugliche Cocktailkirsche: haltbar, leuchtend rot, süß und ohne Alkohol – perfekt für Desserts, Softeisbecher und Fruchtcocktails der Nachkriegszeit.

In den 1950er- und 1960er-Jahren trafen diese „neuen“ Cocktailkirschen in Europa auf eine Konsumlust, die nach Neuem und Exotischem verlangte. Zusammen mit Dosenananas, Pfirsichen und Birnen wurde der Fruchtcocktail zum Evergreen der Nachspeisen – und die rote Kirsche darauf zum kleinen, aber unübersehbaren Statussignal.

Als Clemens Wilmenrod, Fernsehkoch seines Zeichens, 1955 den Toast Hawaii kreierte, gehörte die Cocktailkirsche oben in der Mitte des Toasts unabdingbar dazu. Das machte diese Art der Kirsche nochmals populärer.

Warum sind so wenige Kirschen in der Dose?

Weil sie der teuerste Teil des Cocktails sind. Ananas, Birnen und Pfirsiche kommen aus Massenverarbeitung und sind günstig; Cocktailkirschen benötigen mehrere Prozessschritte. Darum sind oft nur drei bis fünf Kirschhälften in der Dose – als optischer Farbtupfer, nicht als Hauptzutat. (Ein genaues Mindestverhältnis ist in vielen Märkten nicht vorgeschrieben.)

„Künstlich“ heißt nicht „unecht“

Die Kirschen sind echte Früchte – nur eben industriell stark behandelt. Wer den reinen Obstgeschmack sucht, greift besser zu naturbelassenen Süß- oder Sauerkirschen im Glas. Wer den Retro-Look und das typische „Eisdielen-Rot“ will, nimmt die Cocktailkirsche. Beides hat seine Berechtigung – man sollte nur wissen, was man isst.

Videos: So werden Cocktailkirschen hergestellt


Fazit

Die Leserin liegt mit dem Bauchgefühl einer „künstlichen“ Anmutung nicht völlig falsch – aber die Grundlage ist echt: Es sind richtige Kirschen, die zu Deko-Kirschen verwandelt wurden. Deshalb sind sie rar in der Dose, knallig im Glas und geschmacklich mehr „Zucker-Kirsch-Aroma“ als Sommerobst vom Baum.

Quellen

  1. US-FDA, Compliance Policy Guide 550.550 „Maraschino Cherries“ – Definition und Zusammensetzung.
  2. Wikipedia (engl.): „Maraschino cherry“ – Prozess (Bleichen in SO₂/CaCl₂, Zuckersirup, Färbung), typische Sorten.
  3. Oregon State University Extension: „Sweet Cherry Cultivars …“ – Royal Ann/Napoleon als Hauptsorte für Maraschino-Verarbeitung.
  4. ChemEd X (Fachportal): „Changing the Colour of Whole Fruits!“ – Brine-Zusammensetzung (Bisulfit, Citronensäure, CaCl₂) und Zweck.
  5. Wikipedia (deutsch): „Cocktailkirsche“ – Begriff/Verwendung.
  6. Toast Hawaii Wikipedia

Hinweis: Gesetzliche Detailanforderungen können sich je nach Land unterscheiden; die FDA-Definition dient hier als gut zugängliche Referenz.

Bildquellen:

  • cocktailkirsche_800x500: Peter Wilhelm ki

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(©si)