Geschichten

Der Frauenversteher

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„Du hörst mir überhaupt nicht zu!“, sagt meine Allerliebste und schmollt.

Was war passiert?

Wir waren vor einigen Tagen in der Stadt unterwegs. Vor diversen Schaufenstern ist meine liebe Frau stehen geblieben und zeigte mir dies und das. Schmuck, Schuhe, Kosmetika, unnützes Zeug zum Dekorieren der Wohnung. Also genau jene Sachen, bei denen junge, frisch verliebte Paare gerne stundenlang gemeinsam stehen bleiben.
Verheiratete Paare hingegen trennen sich an solchen Geschäften. …manchmal für immer.

Er brummt dann so etwas wie Hmmm und geht einfach weiter bis zu einem Geschäft, in dem es Sachen gibt, die ein Dreibein interessieren. Japanische Kampfmesser, elektronische Wetterstationen oder Mobiltelefone. Die Welt scheidet sich also in Männerfenster und Frauenfenster.

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Vor irgendeinem dieser Frauenfenster hatte die Allerliebste einen Freudentanz aufgeführt, wahrscheinlich einen ungarischen.
Da gab es hübsche Fußkettchen aus mundgeblasenen Perlen. Mir war das ganz recht.
Nicht dass sie herumhüpfte, sondern dass sie sich artikulierte. Es ist ja so unglaublich schwer, ihr etwas zu schenken.
Und da ihr Geburtstag kurz bevorstand, war ich glücklich endlich zu wissen, was sie möchte.

Erst letztes Jahr war ich mit meinem Geschenk komplett auf die Nase gefallen. Die Allerliebste wünschte sich Cowboy-Stiefel. Unter den etwa 10 Millionen Cowboy-Stiefeln, die es gibt und von denen ihr 9.999.999 Paare gefallen hätten, habe ich ausgerechnet das eine Paar ausgesucht, das ihr nicht gefiel.

Ich war gekränkt. Aus bereits mehrfach beschriebenen Gründen passt ihr ja nicht jeder Schuh auf Anhieb und ich war so glücklich gewesen, endlich ein Paar in dieser etwas überdimensionalen Größe gefunden zu haben.

„Das liegt nur daran, dass du mir nie zuhörst!“, lautete damals ihr Vorwurf.

Dieses Mal habe ich es anders gemacht. Ich führe meine Frau in die Stadt, lasse sie in vielen Schaufenstern alles begutachten, gebe mich betont uninteressiert, merke mir aber genau, was ihr gefällt. Es ist eben dieses Fußkettchen aus mundgeblasenen Perlen.

Es stimmt nämlich überhaupt nicht, wenn sie behauptet, ich würde ihr nicht zuhören. Nur haben Frauen offenbar völlig andere Prioritäten als wir Männer.

Neulich ruft jemand an. Schon nach anderthalb Stunden ist die Allerliebste fertig mit dem Telefonat. Es war eben nur ein kurzes Gespräch. Dann erzählt sie: „Das war Margot, die Frau von Willi vom Ausländeramt 12, die haben sich getrennt, ihr geht es so schlecht, sie hat Migräne und Depressionen, Willi hat zu Saufen angefangen und die Kinder sind jetzt bei der Oma, heute mache ich uns Bratkartoffeln, die isst du doch so gerne, zu Weihnachten habe ich übrigens Urlaub und die Margot will uns jetzt besuchen kommen, morgen um fünf.“

Gut! Ich nicke. Alles verstanden, alles in Ordnung.

Soll Margot, die ich übrigens ebenso wenig kenne, wie Willi, ruhig kommen.

Doch so einfach ist das nicht! Mein Nicken reicht bei weitem nicht aus. Die Allerliebste zieht die Augenbrauen hoch und sagt ihren Lieblingssatz: „Hast du mir überhaupt zugehört? Nie hörst du mir zu!“

„Doch, ich habe dir zugehört!“

„So?“, fragt sie mit spitzer Stimme. „Wer kommt denn?“

„Morgen um fünf kommt Margot, die Frau von Willi, der von ihr getrennt ist.“

„Siehst du, du hörst mir nicht zu!“, schmollt mich die Allerliebste an. „Wenn du mir zugehört hättest, dann wüsstest du, was Margot jetzt hat und wo Willi arbeitet…“

Ich unterbreche meine kleine Steppenläuferin triumphierend und sage: „Margot hat Migräne und Depressionen und Willi ist beim Ausländeramt!“

Mit solchen Dingen kann mir meine Allerliebste den Schneid nämlich nicht mehr abkaufen. Ich merke mir jedes ihrer Worte wie ein Computer und zeichne jede Silbe in einer extra dafür frei geräumten Stelle meines Gehirns auf. Ich kann mir zwar das Ohmsche Gesetz nicht mehr merken, aber ich kann im Kopf zurückspulen und wie ein Gerichtsschreiber alles bisher Gesagte replizieren.

„Ha!!!“, ruft sie. „Ich sag doch, du hörst mir nie zu!“

„Ich habe dir doch jedes deiner Worte wiederholt! Was willst du mehr?“, meckere ich zurück.

Doch die Allerliebste zieht ihren Trumpf aus dem Ärmel. „So, und welche Nummer hat das Amt von Willi? Los sag es!“ Du hörst nämlich nie zu!“

Ich grüble, ich überlege, ich zermartere mir mein Gehirn. Ich weiß genau, dass er beim Ausländeramt ist. Ich weiß auch genau, dass sie irgendeine Nummer oder einen Buchstaben gesagt hat, aber welchen bloß?

„Ja ja, ich sag es immer wieder und du brauchst dich nicht herauszureden, du hörst mir nie zu!“, krakeelt meine Frau.

„Meine Güte!“, sage ich, „ich habe dir alles wiederholt, und am Unwichtigsten hängst du dich jetzt auf!“

„Nein, das stimmt nicht! Wenn du mir zuhören würdest, dann würdest du dir alles merken. Eben alles! Übrigens, Willi arbeitet in der Abteilung 12.“

Aha! Doch ich gebe mich nicht geschlagen und sage: „Also wirklich! Du bist doch eine intelligente Frau! Du kannst doch nicht allen Ernstes behaupten, dass die Information mit der 12 wirklich wichtig war!“

„Siehst du, du hörst mir nicht zu! Würdest du mir nämlich zuhören, dann wüsstest du noch, was ich dir neulich erzählt habe. Dann würdest du dich dran erinnern, dass Susanne auch bei 12 arbeitet und dass sie ihren Hermann rausgeworfen hat, weil der mit Anita von 13 ein Verhältnis hat. Würdest du mir zuhören, dann wüsstest du, dass Susanne immer schon auf Willi scharf war. Die beiden sind nämlich jetzt zusammen und deshalb ist es wichtig, dass alles bei 12 passiert ist. Du hörst mir eben nicht zu!“
Weibliche Logik!

Ich fahre heimlich in die Stadt, um die mundgeblasenen Perlen zu kaufen. Zu ihrem Geburtstag wird sie dieses Fußkettchen von mir bekommen. Dieses Mal habe ich nämlich besonders gut aufgepasst.
In der Zwischenzeit war Margot da und hat uns die Ohren vollgejammert. Schuld an allem war nur K13-Anita, weil sie den K2-Willi abgeschleppt hat.

Ankes Geburtstag ist da und ich überreiche ihr mein Geschenk. Nach dem Reinfall mit den Cowboystiefeln bin ich mir dieses Mal ganz sicher, etwas Passendes gefunden zu haben.

Meine Allerliebste öffnet ihr Geschenk, ich sehe erwartungsvoll in ihre Augen und da leuchtet nichts. Hatte sie nicht vor dem Schaufenster einen Freudentanz aufgeführt? Was ist denn jetzt bloß wieder falsch?

„Ich freue mich, mein lieber Mann!“, sagt sie und ihre Augen sagen stattdessen: „Wie konntest du nur?“

Meine Augen blicken sie fragend an und die Allerliebste sagt: „Du hörst mir eben nie zu! Genau so ein Fußkettchen hat Anita von Amt 13 immer getragen. Das kann ich ja wohl jetzt nicht anziehen! Warum hörst du mir nie zu1?“

Entgegen aller Behauptungen in diesem Buch ist es in Wirklichkeit so, dass die Allerliebste gerne mal einen Blick in meine Geschichten wirft. Es sind alles Geschichten, die in überspitzter Form die Realität verfremden, teils auf den Kopf stellen. So auch diese Geschichte hier. Muss ich es verstehen, dass sie nach der Lektüre sagt: „Genau, so ist es! Du hörst mir nie zu!“ Ich glaube, ich bin doch kein Frauenversteher!
© 2006


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Der erfolgreiche Buchautor Peter Wilhelm veröffentlicht hier Geschichten, Kurzgeschichten, Gedanken und Aufschreibenswertes.

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 3. November 2016

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