In letzter Zeit mal bei McDonald’s gewesen? Wenn ja, dann sind Dir bestimmt die labberigen Trinkhalme aus Papier und die ekligen Holzlöffel fürs Eis aufgefallen. Millionen Mäcces-Kunden ärgern sich darüber. Ich habe mittlerweile meinen eigenen Plastiktrinkhalm und Löffel dabei.
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Ja und das alles geschieht wegen der Umwelt. Das ist ja auch völlig in Ordnung. Ich sehe ja ein, dass jeder sein Schärflein dazu beitragen muss/kann, dass unser Planet von der Plastikflut verschont bleibt, bzw. dass diese wo möglich eingedämmt wird.
Aber auf der anderen Seite wird mit Ressourcen umgegangen, als gäbe es kein Morgen.
Ich fange vorne an:
Wir haben eine neue Spülmaschine gekauft. Das ist zunächst mal nichts Weltbewegendes. Aber bei der Spülmaschine lag neben dem Trichter für das Salz und den Bedienungsanleitungen auch eine Plastiktüte bei, die einen DIN-A-5-Zettel mit einer Anleitung und eine 60 cm lange Moosgummidichtung enthielt. Diese selbstklebende Dichtung weckte mein Interesse. Muss ich die etwa noch irgendwo montieren? Wofür ist sie gut?
Und dann geriet ich ins Staunen. Diese Moosgummidichtung mit dem Hinweis „nur für IEC 60704-2-3 Test“ hat eine sehr spezielle Funktion und ist eigentlich gar nicht für den normalen Verbraucherbetrieb gedacht. Ich erkläre das im Detail:
Was bedeutet IEC 60704-2-3?
Das ist eine internationale Norm für Geräuschmessungen bei Geschirrspülern. Sie legt exakt fest, wie die Lautstärke (dB(A)) eines Geschirrspülers gemessen werden muss – also z. B.:
- mit welcher Beladung,
- bei welcher Wassertemperatur,
- und unter welchen Dichtungsbedingungen.
Damit alle Hersteller weltweit unter identischen Testbedingungen messen, wird eine standardisierte Moosgummidichtung beigelegt. Diese dichtet bei Prüfaufbauten die Umgebung exakt so ab, dass kein Schall „falsch“ nach außen dringt.
Das bedeutet: Im Testlabor wird diese Dichtung angebracht, und zwar unten am Gerät, um bei allen getesteten Maschinen verschiedenster Hersteller vergleichbare Testbedingungen zu haben.
Und damit die ausgelieferten Maschinen dann mit den getesteten identisch sind, liegen allen Maschinen diese Dichtungen bei. Kapiert?
Warum liegt das Teil dann überhaupt im Karton?
Ganz einfach:
Die Geräte, die wir im Handel kaufen, stammen aus derselben Produktionslinie wie die, die für die offiziellen Messungen bereitgestellt werden. Damit alle Geräte technisch identisch sind, wird das Zubehörset standardmäßig beigelegt.
Das ist eine Vorgabe der Qualitätszertifizierung – denn sonst könnte jemand behaupten, das getestete Gerät unterscheide sich vom verkauften.
Was tut der Verbraucher damit?
Gar nichts.
Diese Dichtung ist nicht für den alltäglichen Gebrauch vorgesehen. Wenn wir sie einsetzen würden, könnte sie im schlimmsten Fall sogar die Lüftung oder den Wasserablauf behindern.
Viele Hersteller (z. B. Bosch, Siemens, Miele) schreiben intern:
„Die beigelegte Prüfungsdichtung ist nur für Laborzwecke nach IEC 60704-2-3 zu verwenden. Sie darf beim Kunden nicht montiert werden.“
Schätzung zur Stückzahl
Also nochmal zum Mitschreiben: Kein Kunde auf der Welt benötigt diese Dichtung für irgendwas. Sie liegt nur bei, damit sie eben beiliegt. Und das nicht nur versehentlich bei einigen Maschinen, sondern bei ALLEN.
Die Norm IEC 60704-2-3 betrifft alle Geschirrspüler weltweit, die für den Haushaltsgebrauch gebaut und in Ländern verkauft werden, die IEC-Normen anwenden oder sich daran orientieren. Dazu gehören praktisch alle großen Märkte: EU, UK, USA (über UL-Äquivalente), Kanada, Australien, Japan, Südkorea etc.
Schauen wir uns mal an, wie viele Geschirrspülmaschinen das sind.
Weltweite Produktion von Geschirrspülern:
Laut Branchenverband Statista / APPLiA Europe (Stand 2024):
Weltweit werden jährlich etwa 70 bis 80 Millionen Geschirrspüler produziert.
Davon entfallen rund 35 Millionen auf Europa, 20 Millionen auf Asien und 15 Millionen auf Nordamerika.
Da fast alle großen Hersteller (Bosch, Siemens, Miele, Whirlpool, Electrolux, Beko, Samsung, LG, etc.) diese Norm als Basis ihrer Prüfungen verwenden, wird die Moosgummidichtung praktisch jeder Serienmaschine beigelegt – auch wenn sie nie genutzt wird.
Konservative Schätzung:
Selbst wenn man nur 80 % aller Geräte berücksichtigt, ergibt das:
0,8 × 80 Millionen = 64 Millionen Moosgummidichtungen pro Jahr
Was bedeutet das?
Das sind also rund 60–70 Millionen kleine Moosgummistreifen, die jährlich weltweit produziert, verpackt, transportiert und in Haushalten ungeöffnet entsorgt werden.
Wenn man annimmt, dass jede Dichtung etwa 5 Gramm wiegt, reden wir über:
350.000 Kilogramm Schaumgummiabfall jährlich – komplett sinnlos.
Wenn man alle Dichtungen an einem Stück hintereinanderlegt, ergibt das eine Länge von etwa 38.400 Kilometern
Zum Vergleich: Erdumfang am Äquator: ca. 40.075 km
Die Dichtungen würden also fast einmal um den gesamten Erdball reichen.
In 10 Jahren sind das so viele Dichtungen, dass sie aneinandergereiht bis zum Mond reichen würden.
Gesamtkosten pro Stück
Position | geschätzter Stückpreis |
---|---|
Moosgummidichtung | 0,008 € |
Anleitung (DIN A5) | 0,003 € |
PP-Beutel (bedruckt) | 0,010 € |
Verpackung & Handling | 0,007 € |
Summe pro Einheit | 0,028 € (≈ 0,03 €) |
Hochrechnung auf die Weltproduktion
Bei jährlich ca. 64 Mio. Einheiten gilt:
64.000.000 × 0,028 € = 1.792.000 €
Das entspricht rund 1,8 Mio. € pro Jahr.
Fazit:
- Die Moosgummidichtung dient ausschließlich der Geräuschmessung im Testlabor.
- Sie liegt bei, damit die Serienausstattung identisch mit der geprüften Variante bleibt.
- Verbraucher brauchen sie nicht und sollen sie auch nicht verwenden.
- Sie können sie also guten Gewissens weglegen oder entsorgen.
Diese Testdichtung ist ein typisches Relikt technischer Normung, bei dem niemand daran gedacht hat, dass Millionen Seriengeräte unnötig ein Laborzubehörteil mitschleppen.
Für den Verbraucher nutzlos – für die Umwelt eine kleine, aber in Summe beachtliche Verschwendung.
Man fasst es ja kaum! Da werden in aller Welt Millionen Menschen mit Papierstrohhalmen und Holzlöffeln gegängelt, damit sie sich im Namen des guten Gewissens den Latte macchiato umweltfreundlich reinziehen – und gleichzeitig produziert die Industrie Jahr für Jahr Hunderttausende Kilo völlig überflüssigen Schaumgummi, nur weil irgendeine Normkommission beschlossen hat, dass jedes Gerät exakt so aussehen muss wie das Prüfexemplar aus dem Labor.
Das ist Bürokratiewahnsinn in Reinform: Auf der einen Seite sollen wir an der Theke brav auf Plastik verzichten, auf der anderen Seite stecken im Karton jedes Geschirrspülers weltweit sinnlose Dichtungen, die nie jemand braucht, aber pflichtbewusst hergestellt, eingetütet, transportiert und dann weggeschmissen werden.
Wer sich das ausgedacht hat, sollte mal einen Monat lang mit einem Holzlöffel Eis essen – dann wüsste er, was echte Ressourcenverschwendung bedeutet.
Bildquellen:
- IMG_2344_800x500: Peter Wilhelm
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