Mir ist aufgefallen, dass die Angaben zur Zahl der Teilnehmer bei Demonstrationen oft sehr weit auseinanderliegen. Woher kommt das? Ist das Teil staatlicher Propaganda?
Diese Frage stellt Jens, langjähriger Dreibeinblog-Leser aus Hanau.
Es ist ein Phänomen. Nehmen wir an, der Verband der linksrechten Geflügelzuchtjäger aus dem westlichen Ostfriesland ruft zu einer Demonstration gegen Stierkämpfe auf deutschen Flüssen auf. Die Demonstration findet in Berlin in der Nähe des Brandenburger Tors statt.
Am Abend nach der Veranstaltung meldet der Geflügelzuchtjäger-Verband begeistert, dass 100.000 Menschen an der Demo teilgenommen hätten. Die Polizei spricht von 23.000 Teilnehmern, in der Presse ist am nächsten Tag von rund 40.000 Demonstranten die Rede.
Wie kommt es zu diesen Unterschieden?
Die unterschiedlichen Zahlen entstehen aus zwei Gründen. Der erste Grund ist die Methode, mit der die Zahl der Teilnehmer ermittelt wird und der zweite Grund ist die Interessenlage.
Methoden zur Teilnehmerzählung bei Demonstrationen
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Zählung vor Ort durch Organisatoren:
Die Organisatoren der Demonstration können versuchen, die Teilnehmeranzahl durch manuelle Zählung vor Ort zu ermitteln. Das ist aber äußerst schwierig und ergibt nur dann gute Zahlen, wenn der Zugang zum Gelände durch Ordner überwacht wird, die eine exakte Zählung vornehmen. -
Luftbildanalysen:
Luftaufnahmen oder Satellitenbilder der Veranstaltung können verwendet werden, um die Anzahl der Menschenmengen zu schätzen.
Spezialisierte Software kann diese Bilder analysieren und Schätzungen erstellen. Solche Auszählungen sind vergleichsweise genau, weil man hier bei entsprechender Vergrößerung des Bildmaterials Person für Person markieren und zählen kann. Zumeist wird das für eine bestimmte Fläche, sagen wir 4 x 4 cm gemacht und dann wird dieses Quadrat immer wieder auf das Bild gelegt und für jedes Quadrat die vorher ermittelte Personenzahl gewertet. -
Videoanalysen:
Aufnahmen von Überwachungskameras oder Medienteams können für die Schätzung der Teilnehmerzahl genutzt werden.
Computerprogramme können verwendet werden, um die Menschenmengen auf den Videos zu analysieren. Auch diese Methode gilt als sehr genau. Heute sind Computerprogramme in der Lage, die oben beschriebene manuelle Zählung zu ersetzen. Das liefert sehr gute Ergebnisse. -
Teilnehmerregistrierung:
Bei einigen Demonstrationen werden die Teilnehmer gebeten, sich zu registrieren oder in Listen einzutragen.
Dies ermöglicht eine genauere Zählung, ist aber nicht immer praktikabel oder effektiv. -
Nutzung von Technologie und Apps:
Es gibt mobile Apps und Technologien, die darauf abzielen, Menschenmengen zu zählen.
Dies kann beispielsweise durch die Analyse von Handy-Signaturen in einem bestimmten Bereich geschehen. -
Polizeischätzungen:
Die örtliche Polizei versucht oft, die Menschenmenge während einer Demonstration zu schätzen.
Diese Schätzungen können jedoch ungenau sein und von verschiedenen Faktoren beeinflusst werden.
Die Interessenlage beeinflusst die Zahlen
Die Einschätzung der Teilnehmerzahl bei Demonstrationen kann oft zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Veranstaltern und der Polizei führen, da beide Parteien unterschiedliche Interessen und Perspektiven verfolgen.
Für Veranstalter ist eine möglichst hohe Schätzung der Teilnehmerzahl oft von Vorteil. Eine beeindruckende Anzahl von Demonstranten kann die Wirkung und den Einfluss der Veranstaltung unterstreichen, sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch in den Medien. Große Teilnehmerzahlen können die Legitimität der Anliegen, für die demonstriert wird, betonen und eine starke Unterstützung suggerieren. Veranstalter haben daher möglicherweise die Tendenz, die Zahl der Teilnehmer eher großzügig zu schätzen, um die Stärke und den Einfluss ihrer Botschaft zu betonen.
Auf der anderen Seite ist die Polizei zunächst einmal daran interessiert, eine genaue und realistische Einschätzung der Menschenmenge vorzunehmen, um angemessen auf mögliche Sicherheitsprobleme reagieren zu können. Eine zu niedrige Schätzung könnte zu unzureichenden Sicherheitsmaßnahmen führen, während eine zu hohe Schätzung Ressourcen unnötig binden und zu übertriebenen Sicherheitsvorkehrungen führen könnte. Die Polizei strebt daher in der Regel nach einer sachlichen und realistischen Einschätzung der Teilnehmerzahl, unabhängig von politischen oder symbolischen Erwägungen.
Aus Gesprächen mit Polizisten weiß ich aber, dass sich die Polizei hier auch mitunter dazu veranlasst sieht, die Zahlen man zu hoch und mal zu niedrig anzugeben.
Möchte der Einsatzleiter beim nächsten Mal mehr Einsatzkräfte vor Ort haben, könnte er sich veranlasst sehen, die Zahl der Teilnehmer etwas übertrieben anzugeben. Das kann aber auch genau den gegenteiligen Effekt haben, wenn höhere Stellen dann sagen, dass vorher ja auch mit einer geringen Zahl an Einsatzkräften alles funktioniert hat. Mitunter können sich Journalisten auch des Eindrucks nicht erwehren, dass von Seiten der Polizei die Zahl der Teilnehmer viel zu gering angegeben wird, um das Anliegen, für das demonstriert wurde, kleinzureden.
Grundsätzlich aber gilt, dass die Zahlen, die von der Polizei kommen, noch die verlässlichsten sind.
Die Diskrepanz in den Schätzungen zwischen Veranstaltern und der Polizei kann zu Spannungen führen und in der öffentlichen Debatte über die Größe und Bedeutung einer Demonstration eine Rolle spielen. In einigen Fällen werden unabhängige Dritte, wie etwa Experten für Menschenmengenkontrolle oder Medien, hinzugezogen, um eine neutralere Schätzung vorzunehmen und die Transparenz in dieser Angelegenheit zu fördern.
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