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Was ist ein John Doe Verfahren in den USA?

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In den USA gibt es für alles irgendeinen merkwürdigen Namen. Wenn bei uns „gegen Unbekannt“ ermittelt wird, klingt das trocken nach Aktenordnern und abgestandenem Kaffee bei der Staatsanwaltschaft. In einigen US-Bundesstaaten, insbesondere in Wisconsin, heißt das Ganze dagegen dramatisch: John Doe Hearing (John Doe Anhörung bzw. John-Doe-Verfahren). Das klingt nach Thriller, geheimer Untergrundorganisation und mindestens einem Mann mit Sonnenbrille in einem schwarzen SUV.

Was ist ein „John Doe“ überhaupt?

„John Doe“ ist im amerikanischen Recht der Platzhalter für eine unbekannte Person – so wie bei uns „N.N.“, Erika Mustermann oder manchmal auch Otto Normalverbraucher. Wenn also niemand so genau weiß, wer der gemeint, oder in diesem Fall der Übeltäter ist, heißt er erst einmal John Doe. Oder, wenn es mehrere sind, gleich eine ganze John-Doe-Sippe.

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Ein John Doe Hearing ist dann, vereinfacht gesagt, eine Art geheime Ermittlungsanhörung gegen Unbekannt. Man weiß: Irgendwer hat irgendwas ziemlich Illegales gemacht – aber man weiß noch nicht genau, wer. Und genau da setzt dieses Verfahren an.

Geheimverfahren mit Richtersiegel

Der Clou am John Doe Hearing: Es handelt sich nicht um normale Ermittlungen der Polizei oder Staatsanwaltschaft, die im Hintergrund gemütlich vor sich hinköcheln. Hier sitzt ein Richter mit am Herd.

  • Das Verfahren findet nicht öffentlich statt.
  • Zeugen werden vorgeladen und unter Eid vernommen.
  • Es können Unterlagen, E-Mails, Geschäftsunterlagen und digitale Daten verlangt werden.
  • Die Beteiligten dürfen oft nicht einmal darüber sprechen, dass sie beteiligt sind.

Während bei uns im Strafverfahren die richterliche Rolle normalerweise erst bei Anklage und Hauptverhandlung richtig sichtbar wird, sitzt im John Doe Hearing der Richter schon mitten in der Ermittlungsphase am Tisch und verteilt die Karten.

Wozu macht man so etwas?

Ein John Doe Hearing wird vor allem dann eingesetzt, wenn es keinen klaren Verdächtigen gibt, aber einen ernsthaften Verdacht, es um politisch brisante oder wirtschaftlich relevante Fälle geht oder Strukturen aufgeklärt werden sollen – Korruption, Wahlkampffinanzierung, Finanzdelikte, organisierte Kriminalität.

Man könnte sagen: Wenn es richtig kompliziert wird und viele Leute möglicherweise etwas zu verbergen haben, dann zieht man in Wisconsin das John-Doe-Schwert aus der Scheide. Und das passiert nicht nur theoretisch, sondern ist in der Vergangenheit zum Beispiel bei Ermittlungen rund um Wahlkampforganisationen und politische Netzwerke geschehen.

Geheim, aber sehr gründlich

Der Reiz – aus Sicht der Ermittler – ist, dass ein John Doe Hearing eine Art Schweizer Taschenmesser der Strafverfolgung ist:

  • Man kann Zeugen zwingen, auszusagen.
  • Man kann Unterlagen beschlagnahmen.
  • Man kann Durchsuchungen anordnen lassen.
  • Man kann all das tun, ohne dass gleich die ganze Öffentlichkeit mitliest.

Für die Betroffenen ist das weniger verlockend. Wer plötzlich als Zeuge geladen wird, weiß manchmal gar nicht so genau, ob er nicht vielleicht schon Halbverdächtiger ist. Und das Ganze findet in einem Verfahren statt, das in Teilen unter Verschluss bleibt. Öffentliches Rehabilitieren ist schwierig, wenn die Öffentlichkeit gar nicht weiß, dass man überhaupt im Fokus stand.

Der Zwiespalt: Schutz der Ermittlungen vs. Schutz der Bürger

Auf dem Papier hat das John Doe Hearing noble Ziele: Es soll ermöglichen, komplexe, schwer zu greifende Straftaten strukturell aufzuklären, ohne dass Verdächtige frühzeitig gewarnt werden oder Beweise verschwinden. Gleichzeitig soll niemand öffentlich an den Pranger gestellt werden, bevor überhaupt klar ist, wer was gemacht hat.

In der Praxis sieht die Kritik so aus:

  • Geheimhaltung: Was man nicht sieht, kann man nicht kontrollieren.
  • Machtasymmetrie: Der Staat hat sehr lange sehr viel Spielraum, ohne sich erklären zu müssen.
  • Unklarer Status: Zeuge? Verdächtiger? Irgendwas dazwischen?

Wenn man will, kann man sagen: Das John Doe Hearing ist der juristische Fernsehraum, in dem eine ganze Staffel Ermittlungen läuft – aber das Publikum erfährt erst in der letzten Folge, wer der Mörder war und wer überhaupt mitgespielt hat.

Und in Deutschland?

Eine direkte Entsprechung gibt es hierzulande nicht. Natürlich gibt es auch in Deutschland Ermittlungen „gegen Unbekannt“ und teilweise nicht-öffentliche Verfahren, etwa im Staatsschutz oder bei bestimmten schweren Delikten. Aber ein formales, richterlich geführtes Geheim-Ermittlungsverfahren mit diesem Namen und Zuschnitt kennt die deutsche Strafprozessordnung nicht.

Am ehesten kennen wir solche Ermittlungen eben als „Ermittlung gegen Unbekannt“. Ein Beispiel könnten die Ermittlungen der Staatsschutzorgane gegen einen möglichen Spion im Umfeld des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt sein, die später zur „Guillaume-Affäre“ wurden. Hier war zunächst die Identität des möglichen Eindringlings nicht bekannt. Später wusste man, dass es ein gewisser „G.“ sein könnte. Ermittelt wurde aber lange Zeit einfach „gegen Unbekannt“. Der Unterschied zu den USA liegt darin, dass bei uns keine Richter involviert sind, ein Beispiel für die Gewaltentrennung, die hier sehr ernst genommen wird.

Das System der USA ist insgesamt deutlich stärker darauf ausgelegt, dass unterschiedliche Behörden- und Gerichtsebenen eigene Instrumente mit teils sehr speziellen Befugnissen haben. Das John Doe Hearing ist eins davon – irgendwo zwischen Ermittlungsmaßnahme, richterlicher Voruntersuchung und juristischem Maulkorb.

Fazit: Ein Verfahren wie ein Schatten

Ein John Doe Hearing ist kein schöner Gerichtssaalmoment mit „Euer Ehren“ und dramatischen Schlussplädoyers. Es ist eher der Schattenbereich der Justiz – dort, wo Verdacht, Vermutung und Strukturermittlung zusammenkommen und ein Richter die Lampe hält.

Ob man das als notwendigen Schutz der Gesellschaft vor schwer aufklärbaren Straftaten sieht oder als gefährlich mächtiges Werkzeug des Staates – das ist am Ende eine Frage der Perspektive. Aber eines ist sicher: Wer in so einem Verfahren eine Rolle spielt, hätte es vermutlich lieber mit einem ganz normalen, langweiligen „Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt“ zu tun gehabt.

Bildquellen:

  • john-doe_800x500: Peter Wilhelm KI

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(©si)