ServiceWüste

Das Paket aus China – eine Fortsetzung I

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Als großem und kräftigem Mann fällt es mir nicht immer leicht, passende Konfektionskleidung aus dem Laden zu bekommen. Seit Jahren ist deshalb für mich Maßkonfektion das Mittel der Wahl. Hierbei wählt man im Laden anhand eines Musteranzugs Schnitt und Ausstattung aus, sucht sich aus hunderten von Mustern einen Stoff aus und gibt dann noch spezielle Extrawünsche, wie zum Beispiel die Anzahl der Taschen, die Farbe des Futters und die Platzierung der einzelnen Elemente vor. Anhand dieser Angaben wird der Anzug dann nach dem gründlichen Maßnehmen innerhalb von 2-3 Wochen sehr passgerecht aus einem noch nicht vernähten Rohanzug gefertigt. So etwas kostet ab etwa 150 Euro für einen einfacheren Anzug und kann bis zu 450 Euro für einen besseren Anzug mitsamt Weste kosten. (mitsamt Weste, nicht mit Samtweste).

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Derzeit probiere ich verschiedene Angebote im Internet aus, die Maßkleidung für noch viel weniger Geld oder in einer angeblich noch viel besseren Passform versprechen.
Zur Passform: Ein richtiger Maßanzug vom Herrenschneider ist selbstverständlich etwas ganz anderes, so etwas stellt die Krönung der gepflegten Herrenkleidung dar, wird aber unter bestenfalls 1.000 Euro nicht zu haben sein. Eher muß man mit 1.500 bis 3.000 Euro rechnen, was auch von der Stoffart abhängt.
Damit ein solch teurer und handgemachter Anzug auch perfekt passt, sind mehrere Maß- und Anprobetermine erforderlich. Die abgenommenen Maße geben nur einen groben Überblick über den Schnitt, selbst bei sehr sorgfältiger Orientierung an diesen Maßen, stellt sich immer erst bei der ersten Anprobe heraus, ob das Kleidungsstück wirklich perfekt sitzt.
Das ist jedenfalls eines der Argumente, das Herrenschneider vorbringen, wenn sie gegen die Fertigung eines Kleidungsstücks allein anhand von Maßen argumentieren.
Auf der anderen Seite behaupten viele Schneider von sich, sie würden so gut messen, daß sie allein anhand der Maße ein perfektes Kleidungsstück hinbekommen.

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Das behaupten auch die Schneider von taylor4less aus Shanghai in China, die im Internet perfekte Passform für wenig Geld versprechen.

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Ob das so stimmt, das wollte ich mal ausprobieren und habe es ausprobiert, ob man dort für recht geringes Geld gute Maßkleidung bekommen kann.
Erstes Versuchsobjekt sollte ein Jackett sein, welches ich sowieso benötigte.

Zunächst einmal kann man auf der Homepage dieser Firma aus unzähligen Schnitten und Formen das Passende für sich auswählen, dann geht es um den Stoff.
Hier gefällt mir, daß die einzelnen Stoffmuster (von denen man sich eine kleine Auswahl in schwierigen Fällen auch per Post nach Hause schicken lassen kann) mit einer Bildschirmlupe so vergrößern kann, daß man wirklich einen sehr guten Eindruck von Muster und Farbe bekommen kann. Auch zusätzliche Angaben über die Dicke des Stoffs und ob er besser für den Winter, Sommer oder Übergang geeignet ist, findet man neben den Abbildungen. Indes, eine haptische Prüfung durch Anfassen und Kneten des Stoffes kann eine solche Abbildung im Internet keinesfalls ersetzen.

Danach geht es ans Maßnehmen und hierbei hilft ein sehr detailliert aufgebautes System von Bildern und Erklärungen, das einem dabei hilft, an der richtigen Stelle das Richtige zu messen. Hilfreich: Es gibt Hinweise, in welchem Bereich diese Maße normalerweise liegen, dadurch kommt man dann sehr schnell darauf, wenn man sich wirklich mal total vermessen hat.

Wir haben bestimmt viermal gemessen. Einmal habe ich es, so gut das geht, selbst gemacht, dann hat meine Frau das alles nochmal gemacht und dann haben wir eine bereits vorliegende und sehr gut passende Jacke von einem deutschen Maßschneider zur Verifikation der Maße herangezogen. Dann zum Abschluss haben wir alles noch einmal nachgemessen um sicher zu sein.

Hat man dann Schnitt, Stoffauswahl und Maße beisammen, klickt man sich zur Bestellung weiter. Das geht alles sehr übersichtlich und bequem. Bezahlen kann man u.a. per PayPal, was ja eines der zügigsten Internetbezahlsysteme ist. Jedenfalls hat man bereits Sekunden später die Bestätigung aus Shanghai, daß die Zahlung eingegangen ist und die Schneider so bald wie möglich mit der Arbeit beginnen.

Risiko! Wird da wirklich eine Jacke kommen oder ist das Geld mit dem Absenden bei PayPal in den Tiefen des kriminellen Internets für immer verschwunden?
Man könnte ja bei PayPal eine Meldung machen, wenn“s nicht klappt, aber bisher nagt ja nur der Zweifel und es ist noch nichts passiert.

Es passierte auch nichts, denn nur 4 Tage später bekomme ich eine Mail aus Shanghai, in der mir taylor4less mitteilt, die flinken Schneider seien nun mit der Arbeit fertig und man bringe mein Päckchen noch am selben Tag zur Post. Der Versand erfolge, damit es auch wirklich schnell geht, per DHL-Express.

Ich warte also nun auf mein Paket aus China, möchte gerne wissen, ob und wie das Jackett passt und ob es sich gelohnt hat, dafür rund 120 Euro auf eine Reise ins Unbekannte zu schicken.

Doch es tut sich nichts.

Also schaue ich anhand der von taylor4less bereitgestellten Trackingnummer bei DHL mal nach, wo denn mein Paket bleibt. Und siehe da: Es ist schon einen Tag nach dem Versand in Deutschland angekommen! Abgeschickt am 2. September, Ankunft in Leipzig/Deutschland am 3. September um 22.14 Uhr.
Na prima! Dann wird die Jacke ja spätestens am Montag, dem 6. September bei mir sein.

Denkste!

Seit dem 3. September meldet mein Trackingprogramm für das Päckchen: VERZÖGERUNG BEI DER VERZOLLUNG.

Ah, haben die Chinesen einen falschen Wert angegeben? Verlangen die Deutschen jetzt für eine Jacke auch noch Zoll und Einfuhrumsatzsteuer? Naja, darauf weisen die Leute von taylor4less auch hin und bieten an, im Nachhinein 50% dieser eventuell anfallenden zusätzlichen Kosten zu übernehmen. Es scheint also so, als setze man darauf, daß immer mal wieder Lieferung im Warenstrom untergehen und nicht kontrolliert werden, also ihren Empfänger ohne Zoll und Gebühren erreichen. Keine Ahnung, ich weiß nicht, ob es wirklich so ist, daß man auf eine selbstgenähte Jacke auch noch Zoll zahlen muß; aber meinetwegen.

Ich habe schonmal was bekommen, was verzollt werden musste. Da bekam ich vom Postamt eine Karte, mußte dorthin und die Zollgebühr bezahlen, dann händigte man mir mein Paket aus. Problemlos.

Nein, heute geht das nicht mehr so.
Ich bekomme nämlich zunächst einmal Post. Also einen richtigen Brief auf Papier im Umschlag und einen Tag unterwegs…
Es gäbe da Rückfragen und ich solle bitte den Kaufbeleg an die Zollabwicklung irgendwo in Dunkeldeutschland schicken. Das gehe aber auch per Mail. Also mache ich das per Mail und sende denen ein PDF von meiner PayPal-Zahlung. Da steht ja alles drauf und sicher kann ich mich jetzt am nächsten Tag über mein Paket freuen.

Doch nichts tut sich, es kommt kein Paket und so oft ich auch die Trackingnummer aufrufe, es steht dort immer „Verzögerung bei der Verzollung“.

Ärgerlich.

Ja und dann ruft mich einer an. Einer von der Zollabfertigung in Leipzig möchte gerne meine Zollnummer wissen.

„Zollnummer? Hab ich nicht.“

„Wenn Sie am internationalen Warenverkehr mit China teilnehmen, benötigen Sie doch eine Zollnummer.“

„Ach was, das wußte ich nicht. Hat die jeder?“

„Ja sicher, jede Firma die am Warenverkehr mit zollpflichtigen Ländern teilnimmt.“

„Mach ich doch gar nicht, ich hab ja gar keine Firma.“

„Sind Sie etwa privat?“

„Ja, es handelt sich um eine Lieferung an einen Privatmann.“

„Ja dann brauchen Sie auch keine Zollnummer.“

„Ah prima, dann ist“s ja gut.“

„Nee, isses nüscht, Sie müssen mir das bitt“schön auch noch schriftlich bestätigen. Einfach per Mail formlos den Satz: “Ich bin ein Privatmann.“ Sie können aber auch schreiben: “Das ist eine Privatlieferung.“ Schreiben Sie die Sendungsnummer dazu und dann ab damit per E-Mail.“

Also gut, ich habe das so gemacht und bekomme sogar eine Automatenantwort per Mail, daß sich baldmöglichst ein qualifizierter Mitarbeiter um mein Problem kümmert.
Toll!

Es ist heute der 11. September und die Jacke ist seit dem  3. September aus China unterwegs. Hoppla! Stimmt ja gar nicht!
Die Jacke ist vom 2. auf den 3. September nach Deutschland geflogen worden und liegt nun seit dem 3. September, also über eine Woche bei der Verzollung.

So, gestern Abend steht um kurz vor 18 Uhr ein Russe vor meiner Tür. Normalerweise machen mir ja Russen vor meiner Tür eher Angst. Ich gebe zu, daß ich da ganz bös“ rassistisch bin, denn ich habe im Zusammenhang mit Haustüren und Russen bislang nur dann etwas gehört, wenn der Russe ein Einbrecher war oder wenn der Russe für einen dubiosen Geldeintreiber arbeitet.
Aber dieser Russe hier hat eine DHL-Uniform an und hält mir einen Apparat vor die Nase, auf den ich mit einem Plastikstäbchen etwas Unleserliches kritzeln soll.
Er spricht nur rudimentär Deutsch, wir verständigen uns in einer Mischung aus Sprache, Gestik und Ratespiel.
Er gibt mir mein Paket aus China nicht, das wie ich schon sehen konnte, üppig mit vielen bunten Zollklebestreifen geschmückt worden ist.
Hoffentlich hat der Zoll nicht wieder, wie beim letzten Mal, als ich mal einen Cowboyhut aus Amerika geschenkt bekam, mit einem Cuttermesser wieder die ganze Ware zerschnitten…
Ich bin seitdem beim jährlichen Westernfest der einzige Cowboy mit Schlitz im Hut!

Also gut, der Mann aus dem Ostblock will über 66 Euro Zollgebühr. Mann oh Mann!
Ist ja ne Menge, aber gemessen an dem was ich für mein letztes maßgefertigtes Jackett ausgegeben habe, ist dieses hier sogar mitsamt der Zollgebühr noch günstig.
Und außerdem will taylor4less, was sich aber erst noch zeigen wird, 50% von den Gebühren (ohne die Mehrwertsteuer!) übernehmen.
Gestern Morgen hatte ich noch 150 Euro im Geldbeutel, dann nahm sich die Allerliebste 30 Euro, der Junge brauchte 20 und die Tochter 15.
Ich mußte ein paar Liter tanken und so kommt es, daß ich nur noch 50 Euro im Portemonnaie hatte, als der Russe vor mir stand.
Ob er denn auch Mastercard nehme? „Nix, nur Ehhzeeeeeh-Karrrrt!“
Okay, ich hole meine EC-Karte aber inzwischen hat der Russe sich das anders überlegt: „Isse Zolle, nur bar bittäää!“

Dann nehme er das jetzt wieder mit und morgen käme dann ein anderer Kollege, bis dahin solle ich bitte das Geld bereithalten. So in etwa lautet das was er dann noch sagte, auf Deutsch.

Okay, heute ist morgen und ich warte. Geld habe ich inzwischen wieder aufgetankt und dann schauen wir mal.

Ich werde hier berichten, wie es weitergegangen ist und natürlich auch die spannende Frage klären, ob die Jacke passt und wie sie aussieht.


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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In der „Servicewüste“ navigieren wir durch die oft trockenen Landschaften des Einzelhandels, der Behörden und des Online-Shoppings, wo Kunden sich vernachlässigt oder ungerecht behandelt fühlen. Diese Rubrik beleuchtet prägnante Beispiele solcher Erfahrungen. Doch es geht nicht nur um Kritik: Wir heben auch jene Oasen hervor, wo Unternehmen sich durch außergewöhnlich guten Service abheben und beweisen, dass eine „Servicewüste“ nicht die Norm sein muss.

Entdecken Sie mehr darüber, wie einige Marken es schaffen, in einer Welt voller Herausforderungen positiv aufzufallen.

Lesezeit ca.: 12 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 11. September 2010 | Revision: 14. Oktober 2013

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