Einmal jährlich haben meine Eltern, meine Geschwister und ich uns so richtig rausgeputzt.
Raus aus Karottenjeans und T-Shirt und rein in ein neues T-Shirt und eine bessere Jeans – es waren schließlich die 70er.
Der Fotograf stellte alle einmal in einer Reihe auf, forderte meine Mutter auf, doch bitte einmal den Arm auf meines Vaters Schulter zu legen, während diese uns Kinder wiederum dazu antrieb, den Rücken gerade zu machen, damit wir auf dem Foto nicht wie sitzende Faultiere aussehen.
Einmal „Cheese“, schon war das Foto im Kasten und später Teil unseres Familienalbums.
Meiner Intuition nach gibt es heute – verglichen zu den Zeiten, als hochgeschnittene Hosen tatsächlich noch ein neuer Trend und kein Trend-Revival waren – sehr wenige Familien, die regelmäßig Familienportraits anfertigen lassen.
Als ich erst kürzlich die Idee hatte, die alten Familienportraits hier in einem Fotobuch zusammenzustellen, meinte nämlich ein Freund von mir, der zwei kleine Söhne hat, dass er bisher kein einziges richtiges Familienfoto besäße. Kommt vielleicht noch, dachte ich mir, wenn er sich erstmal einen Selfiestick besorgt…
Das Familienportrait 1.0: Horrorfilm 1.0
Eines haben ja alle Fotos von damals gemeinsam: Sie sind schwarz-weiß und keiner lacht. Wenn ich mir Familienfotos von anno dazumal ansehe, befinden sich meist etliche Personen auf dem Bild und starren so in die Linse, als ob sich darin ein Kinofilm abspielen würde. Vielleicht war es aber auch das erste Mal, dass sie überhaupt eine Kamera gesehen haben und der Blitz hat sie so sehr erschreckt, wie mich der Anblick des Ergebnisses seinerzeit. Frauen tragen lange Kleider, Männer einen Anzug und die Mädchen kleine Kleidchen und Schleifen, wie sie sie auch die Zwillinge in Stephen King’s Horrorstreifen-Adaption „Shining“ getragen haben. Ein richtiger Schauer läuft einem über den Rücken, wenn die Knirpse einen Matrosenanzug tragen.
Das Familienportrait 2.0: „Cheese“
Dieser Generation gehöre ich an: Lachen ist auf Familienfotos (wieder oder noch) erlaubt, Vater, Mutter und Kind versammeln sich und wirken – trotz täglicher Reibereien – wie beste Freunde. Zwar besaßen damals schon viele Familien eine eigene Kamera, aber die war nichts im Gegensatz zur dicken, fetten vom Fotografen. Außerdem wusste der immer, in welche Richtung man den Film legt, sodass man am Ende nicht nur schwarze Negative bekam. Ein paarmal „Cheese“ aus verschiedenen Perspektiven, und das Foto war im Kasten.
Das Familienportrait 3.0: Ist mein Arm lang genug?
Mein besagter Freund hat zwar kein einziges professionell angefertigtes Familienfoto, dafür aber mindestens 1000 selbstgeschossene. Ein Fotograf? Wozu? Der Selfiestick tut’s schließlich auch. Ein Fotostudio? Der Eiffelturm als Hintergrund eignet sich doch viel besser und ist tatsächlich – man mag es kaum glauben – ein legales Hintergrundmotiv. Fotobearbeitung? Macht die App – und fertig ist das Familien-Selfie. Manchmal fehlt da halt nur noch die Familie.
Bildrechte: Flickr Family selfie knitsteel CC BY-ND 2.0 Bestimmte Rechte vorbehalten
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