{"id":2630,"date":"2007-06-02T10:35:21","date_gmt":"2007-06-02T08:35:21","guid":{"rendered":"http:\/\/dreibeinblog.de\/blutdruck\/"},"modified":"2012-11-26T20:13:19","modified_gmt":"2012-11-26T20:13:19","slug":"blutdruck","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/dreibeinblog.de\/blutdruck\/","title":{"rendered":"Blutdruck"},"content":{"rendered":"

Die letzte Tage hatte unsere Scherohnie Besuch von Verwandten aus ihrer norddeutschen Heimat. Ein dauernder Duft nach mehr oder weniger frischem Labskaus wehte durch das ganze Haus und durch die Balkont\u00fcr drangen Wortfetzen an meine Ohren, die verd\u00e4chtig nach Ohnsorg-Theater klangen.<\/p>\n

Das erm\u00f6glichte es mir, unser Haus zu betreten und zu verlassen, ohne da\u00df mir Frau Ruckd\u00e4schl<\/a> st\u00e4ndig \u00fcber den Weg lief, die Rentnerin war einfach zu besch\u00e4ftigt.<\/p>\n

<\/a><\/p>\n

Heute Morgen klopft sie aber an unsere T\u00fcr und wenn ich heute Morgen sage, dann meine ich den Morgen in seiner ganzen Fr\u00fch‘ und Pracht, es war kurz nach Sieben.<\/p>\n

„Sie, h\u00f6re se mol, Sie misse noch die M\u00fcll\u00e4\u00e4mer vortue!“
\n
\nDamit will mich die selbsternannte Concierge darauf aufmerksam machen, da\u00df ich -in dem\u00fctiger Befolgung der Hausordnung- mit dem Rausstellen der M\u00fclltonnen an der Reihe bin. Durch den Feiertag am vergangenen Montag habe sich das doch alles um einen Tag verschoben, erkl\u00e4rt sie mir weiter und macht dann so eine Handbewegung, die wohl hei\u00dfen soll: „Hopp, hopp, hopp!“<\/p>\n

„Ich mache es gleich“, sage ich und sto\u00dfe mit dieser Aussage an un\u00fcberbr\u00fcckbare Gr\u00e4ben in der Aussagekraft meiner Sprache und des hiesigen Dialekts. Im Ruhrgebiet, wo ich herstamme, bedeutet ‚gleich‘ eben gleich, also so etwas wie in K\u00fcrze. Hier hingegen bedeutet gleich soviel wie sogleich, sofort, gestern, also auf jeden Fall auf der Stelle.<\/p>\n

Deshalb bleibt die Scherohnie auch in der T\u00fcr stehen und ich bringe es abermals nicht \u00fcbers Herz, die Alte einfach mit einem leichten Sto\u00df die Treppe runterzuschubsen. Vermutlich w\u00fcrde sie sich dabei den Hals brechen, was mir bestimmt einen goldenen Orden der Nachbarn, aber auch 8 Jahre Knast einbringen w\u00fcrde. Diese \u00dcberlegungen stelle ich aber erst jetzt beim Schreiben an, denn w\u00e4hrend die Scherohnie in unserer Wohnungst\u00fcre steht, bin ich nur damit besch\u00e4ftigt, mir etwas Stra\u00dfengeeignetes \u00fcberzustreifen, damit ich den Frohndienst an den M\u00fclltonnen antreten kann.<\/p>\n

Jetzt bleibt die Ruckd\u00e4schl aber niemals an der T\u00fcr stehen, sondern folgt einem immer in die Wohnung und l\u00e4uft dann bis in den hintersten Winkel. Wenigstens fa\u00dft sie nichts an!<\/p>\n

„Was habbe sie denn da?“ fragt sie und deutet auf mein Blutdruckmessger\u00e4t.<\/p>\n

„Das ist f\u00fcr meinen Blutdruck, das habe ich vom Arzt bekommen“, sage ich wahrheitsgem\u00e4\u00df und die Scherohnie nickt. Sie \u00fcberlegt kurz und sagt:<\/p>\n

„Des muss ma so iwwer de Arm st\u00fclpe und uffpumpe, odder?“<\/p>\n

„Ja genau, die Manschette kommt um den Oberarm, dann pumpt es sich automatisch auf und nach einer Weile kann man an dem Apparat den automatisch ermittelten Wert ablesen.“<\/p>\n

„Ei, des is ja unpraktisch.“<\/p>\n

Diese Aussage der Scherohnie verwundert mich jetzt aber doch, handelt es sich schlie\u00dflich bei meinem Blutdruckmessger\u00e4t um ein hochmodernes Produkt deutscher Medizintechnik. Aber ihre Erkl\u00e4rung folgt auf dem Fu\u00dfe:<\/p>\n

„Gehe Sie mol mit mir in mei‘ Wohnung. Da hebb isch noch den Apparat, den wo mei Schorsch immer genumme hot, der is jo viel praktischer.“<\/p>\n

Ich mu\u00df ja sowieso runter und warum soll ich mir nicht das Blutdruckmessger\u00e4tes ihres seeligen Georgs anschauen? Also gehe ich mit Frau Ruckd\u00e4schl nach unten und will schon in Richtung ihrer Wohnungst\u00fcre abbiegen, habe aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Sie gibt mir einen Schubser, soda\u00df ich beinahe die kleine Treppe zur Haust\u00fcre hinuntergefallen w\u00e4re und sagt:<\/p>\n

„Erster die Tonne‘!“<\/p>\n

Wie konnte ich auch annehmen, da\u00df es auf Gottes weiter Welt an einem fr\u00fchen Samstagmorgen etwas Wichtigeres geben k\u00f6nnte, als zwei gr\u00fcne Plastikm\u00fclltonnen?<\/p>\n

Einige Minuten sp\u00e4ter schiebe ich nacheinander die beiden Tonnen, begleitet von der plappernden Rentnerin, die 30 Meter von unserem Haus an die n\u00e4chste Stra\u00dfenecke. Wenigstens eine Tonne h\u00e4tte die Ruckd\u00e4schl ja schieben k\u00f6nnen, aber das macht sie aus Prinzip nicht, denn sie ist ja erst in zwei Wochen wieder dran.<\/p>\n

Erst nachdem ich den Weg zwei Mal hin und zwei Mal her gelaufen bin, marschiert sie in Richtung ihrer Wohnung und l\u00e4sst mich ein.<\/p>\n

„Komme Sie, jetzat zeig isch Ihne, was mei Schorsch f\u00fcr \u00e4n toller Apparat hat. Den hott er zehn Johr lang genumme und immer sein Blutdruck damit gemesse. Der Apparat is viel praktischer als Ihrer und man kann auch Fieber damit messe.“<\/p>\n

W\u00e4hrend sie das sagt, steht sie in ihrem Wohnzimmer und r\u00fchrt keinen Finger. Ich erwarte eigentlich, da\u00df sie jetzt eine Schrankt\u00fcr \u00f6ffnet und den geheimnisvollen Apparat hervorholt, aber sie steht nur da und schaut mich erwartungsvoll an.<\/p>\n

„Frau Ruckd\u00e4schl, wo isser denn jetzt der Apparat?“<\/p>\n

„Ei do h\u00e4ngt er doch!“<\/p>\n

„Wo?“<\/p>\n

„A do an der Wand.“<\/p>\n

Ich folge mit den Augen ihren ausgestreckten Zeigefinger und erblicke an der Wand eine Kuckucksuhr. Sie merkt aber, wo ich hinschaue und sagt:<\/p>\n

„Nee, do gleisch daneben.“<\/p>\n

Ich drehe meinen Kopf etwas und sehe den geheimnisvollen Apparat. Es ist eine Wetterstation in Eiche altdeutsch mit einem Barometer und einem Thermometer.<\/p>\n

„Sehe Sie’s jetzt? Do hot mein Schorsch jeden Morgen seinen Blutdruck abgelesen und wenner \u00e4mol Fieber gehabt hot, dann hot er sei‘ Zung an der Thermometer gehalte. Des ist doch viel praktischer wie des Ding wo Sie da oben hawwe. Da muss man nichts uffpumpe oder um der Arm mache.“<\/p>\n

Abermals stellt sich mir die Frage: Was soll man dazu sagen?<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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