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Spitze Feder

Wasser Marsch!

Nein, das mit dieser Überschrift ist schon OK so; und sie ist auch kein schriftlicher Imperativ eines Feuerwehrmannes mit ausgeprägter Legasthenie. Es geht in diesem Beitrag nämlich nicht darum, mit dem kühlen Nass irgendwelche Brände zu löschen, sondern um jene Gegenden unseres Planeten, in denen es an Wasser mangelt.

Vor ca. 13.000 bis 15.000 Jahren kam der Homo Sapiens auf die folgenschwere Idee, sein lästiges Nomadendasein mit dem ewigen Umherstreifen und der enervierenden Nahrungssuche, an den Nagel zu hängen, wobei es dieses Befestigungselement damals noch nicht gab. Man könnte also konstatieren, dass diesem kühnen Plan, von der Wissenschaft als Neolithische Revolution bezeichnet, schon damals ein massiver Konstruktionsfehler innewohnte.

Da der Homo Sapiens nach dem naturwissenschaftlichen Verständnis der Post-Darwin Ära jedoch ein verstehender, verständiger, weiser, gescheiter, kluger, vernünftiger und weiß der Geier, was noch für ein talentiertes Kerlchen ist, hat er es spätestens im 3. Jahrtausend v. Chr. dann auch verstanden, Eisen zu bearbeiten.

So konnte er aus diesem wundersamen Werkstoff, neben besagten Nägeln, um seine Klamotten aufzuhängen, auch weitere nützliche Dinge wie Messer für den Haushalt und für die Kehlen seiner Nachbarn herstellen. Das Dumme an der Seßhaftigkeit war nämlich der Umstand, dass man seinen Lebensunterhalt nicht mehr auf endlosen Streifzügen zusammenpflückte und/oder jagte, sondern in einem abgesteckten Terrain rund um seine Unterkunft den Boden, das Getreide, seine Früchte und sein Vieh mehr oder weniger geschickt kultivierte.

Was daran dumm ist? Nun: Man brachte mit diesen angehäuften Vorräten andere Hominiden auf die impertinente Idee, sich die ganze schweißtreibende Feld- und Hüte-Arbeit zu sparen, die der Land- und Viehwirtschaft nun mal innewohnen, sondern das Zeug einfach bei seinem Nachbarn abzugreifen.

Unsere Welt des 21. Jahrhunderts hat diese Vorgehensweise als erstes ökonomisches Prinzip, nämlich mit dem geringsten Einsatz, den größten Nutzen zu erzielen, beinahe schon als quasireligiös verinnerlicht. Es geht zwar heute kaum noch um irgendwelche dürren Rinder, Ziegen oder getöpferte Schüsseln voll archaischem Getreide, sondern um solche Leckereien wie Öl, Gas, Land und um die schiere Macht, sich grenzenlos das alles anzueignen. Aber die Folgen sind letztendlich noch immer die gleichen.

Wer sein Land, seinen Hof, sein Haus, sein Vieh und seine Bodenschätze nicht gegen einen mächtigeren Gegner verteidigen kann, hat leider die Arschkarte gezogen. Er muss aus seiner Heimat flüchten und eben anderswo sein Glück versuchen. Gevatter Darwin lässt grüßen

Heute sind weltweit in etwa 65 Millionen Menschen auf der Flucht, weil man ihnen ihre Lebensgrundlage entzieht, weil man man ihre Bodenschätze ausbeutet, ohne ihnen dafür einen Gegenwert abzugeben, weil man ihre Wälder rodet, um darauf Palmöl-Monokulturen anzupflanzen, weil man sie durch korrumpierte Regierungen von ihrem seit Generationen angestammten Land vertreibt, weil global agierende Großkonzerne hier ihre Pipelines planen und dafür das Gelände erst freibomben müssen.

Dass diese kriegerische Art zu wirtschaften und die Zerstörung ganzer Kontinente die Grundlagen unseres obszönen Wohlstandes sind, dürften nur noch jene bestreiten, die an der Spitze dieser Raubzüge stehen und damit Milliarden-Vermögen anhäufen, oder deren Emissäre in unseren Parlamenten, die noch immer dummdreist behaupten, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzustehen. Aber ich schweife mal wieder vom Thema ab.

Von den geschätzten 65 Millionen Menschen, die sich aufgrund von Hungersnöten und/oder Kriegen auf der Flucht befindet, haben es ca. 5 Millionen in die Europäische Union geschafft, also in jene Gegend des Planeten, die von den Kriegen und den Raubzügen in deren Heimat mit am meisten profitiert. Eine knappe Million davon ist in der Bundesrepublik gestrandet. Und sogleich erdreistet sich der braune Mob aus der Kaste der Diätenempfänger, von Sozialschmarotzern zu geifern und der Bevölkerung altbekannte Widerlichkeiten aus der völkischen Gammelfleisch-Küche zu kredenzen.

Einige besonders verblödete Vordenker der faschistischen Szene verstiegen sich in ihren Stammtisch-Hasstiraden gleich in den Herrenmenschen-Wahn, Männer, Frauen und Kinder der nächsten Flüchtlingswelle einfach zu erschießen und erhielten für diese Unbotmäßigkeit auch noch ekelerregenden Beifall. Was diesem chauvinistischen Pack entweder nicht klar sein dürfte, oder was es angesichts der nahenden Bundestagswahl geflissentlich verschweigt:

Diejenigen, die es aus ihren zerbombten Städten bis heute in unsere beschauliche heile Welt geschafft haben und nun sehen, welch obszöner Überfluss ihr grenzenloses Elend bei uns ermöglicht, sind erst der Anfang. Eine kleine, überschaubare Ouvertüre. Der große Showdown, die finale Rechnung für unsere grenzenlose Gier kommt erst noch in ein einigen Jahren. Nämlich dann, wenn sich ein schier endloses Heer aus einer Milliarde Menschen aus ihrem verdorrten Land auf den Wasser-Marsch begibt, weil ihr eigenes Wasser durch Bodenerosion infolge von Monokulturen multinationaler Agrarkonzerne, oder durch die Folgen des Klimawandels verschwunden ist, und/oder weil Trinkwasser nur noch von Nestlé zu Wucherpreisen in Plastikflaschen erworben werden kann. Wenn sich dieser Wasser-Marsch erst einmal in Gang gesetzt hat, wird die Welt eine andere sein.

Ob sich die Christenmenschen hierzulande dann noch an die Geschichte von Moses und dem Auszug der Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei erinnern wollen, die an Weihnachten traditionell bei Kabel 1 in dem Monumentalschinken „die zehn Gebote“ erzählt wird? Und ob sie dann diese Menschen retten werden? Ich fürchte, dazu wird ihre christliche Nächstenliebe nicht reichen.

Spitze Feder – Spitze Zunge

Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 17. September 2020 | Peter Grohmüller 17. September 2020

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