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Warum ich als Experte keine Sternchen habe

Zu nahezu jedem Thema gibt es heute eine Ratgeber-Community oder ein passendes Forum. In letzter Zeit haben auch Systeme wie gutefrage.net oder lycos-IQ verstärkten Zulauf. Die meisten Portale dieser Art funktionieren nach einem ähnlichen Schema: Ein Leser stellt eine Frage und andere Leser antworten ihm darauf. Unter den Antworten krönt dann der Fragesteller die beste Antwort als Sieger oder aber die anderen Leser verteilen Sternchen, Punkte oder meinetwegen auch real,-Treuepunkte als Prämie und so kann dann der größte Depp der Deppen zum Musikantenkaiser oder „Leader of the Freakshow“ aufsteigen.
Nun kenne ich mich in einigen Bereichen, vermutlich alles Bereiche von denen der Leser dieses Weblogs hier nichts ahnt, sehr gut aus und achte deshalb auch immer mal wieder auf die Fragen und Antworten aus den Bereichen, in denen ich Bescheid weiß.

Immer wieder juckt es mir in den Fingern, den Ratsuchenden eine gute Antwort zukommen zu lassen, doch dann fällt mein Blick auf die bisher gegebenen Antworten und die daraus erwachsene Kommentarkette und mir vergeht die Lust aufs Antworten schlagartig.

Ich muß hier kein konkretes Beispiel anführen, jeder hat vermutlich so einen Schwachsinn schon selbst in Foren usw. gelesen.
Die Frage an sich ist meist ganz harmlos und arglos gestellt, es gäbe eine einzige, klar und sinnvolle Antwort darauf und diese Antwort würde jeder geben, der sich auch nur ein ganz klein wenig auskennt.

Ich transponiere mal ein ganz aktuelles Beispiel aus einem dieser Frageportale und setze sie auf eine ganz einfache Frage um, Gleiches tue ich mit den Antworten:

Nehmen wir an, die Frage lautete: „Was ist eigentlich ein Apfel?“

Die erste Antwort ist nur eine Gegenfrage, die mit der eigentlichen Frage nichts zu tun hat: „Gute Frage, wieso hast Du ein Fahrrad.“
Die nächste Antwort ist absolut falsch, beschreibt genau das Gegenteil von dem was richtig wäre: „Ein Apfel ist eine Meeresfrucht und schwimmt mit dem Golfstrom.“
Der Dritte geht nun allein auf einen Teilbegriff der zweiten Antwort ein: „Strom wird ja sowieso viel zuviel verbraucht.“ Er lässt sich dann 20 Zeilen lang über Fragen der Energie aus.
Die vierte Antwort geht dann beispielsweise so: „Apfelhersteller sind alles Gauner, wir haben es mit einer Gaunermafia zu tun. Würden die Apfelhersteller nicht ihre Äpfel überall hin liefern, würden wir nicht so viele davon esse. Diesem verbrecherischen Tun muß endlich ein Ende gemacht werden, aber unsere Regierung schaut zu und schweigt.“
Es folgen 15 Antworten, die auf Guido Westerwelle und den lange verstorbenen Franz-Josef Strauß schimpfen.
Die vorletzte Antwort sieht ungefähr so aus: „Cewle Frage, intresiert mich auch. Wo bleim de Antworten? Keine ne Antwort zu nen Apfle?“
Und der Letzte schreibt: „Hab auch schon mal nen Apfel gegessen.“

Und in der Kette von über 20 Antworten krönt der Fragesteller die Antwort: „Strom wird sowieso zuviel verbraucht.“ als die beste Antwort. Die anderen spielen stures Schaf und klicken brav auf „empfehlenswerte Antwort“ und der Affe mit dem Stromverbrauch wird zum Oberdeppen mit fünf Sternchen.

Da feiert die versammelte Idiotie des Internets fröhliche Urständ und die größten Blödmänner klatschen auch noch breitmäulig ihre Doffheit herausgrinsend Beifall.

Kommt man nun als Fachmann trotzdem auf die nachgerade dumme Idee und postet eine richtige Antwort, damit die Brüllaffen nicht ganz so dumm sterben, dann versammelt sich sogleich eine noch viel hirnlosere Meute und kotzt einem die einzig gute Antwort voll: „Hab ich irgnswo schon anders gelesen.“

Es ist nicht nur, daß halbwegs gebildete Menschen sich von diesem dummen Treiben mit Grausen abwenden, sondern es ist doch schließlich auch so, daß der Fragesteller oft dumm genug ist, von diesen Antworten wichtige Entscheidungen abhängig zu machen und die blödesten der blöden Ratschläge auch noch befolgt.
Auf die Frage, wie man ein iPhone der ersten Generation lauter machen kann, bekam ein Fragesteller die Antwort -und das gleich mehrfach- er solle einen Stahlnagel nehmen und den fest in die beiden Lautsprecheröffnungen unten am Handy rammen. „Am Besten kloppste das noch mit dem Nagel auffen Tisch. Da musse ne Membran oder so durchstechen.“

Auf die bange Rückfrage: „Ja geht das Handy davon denn nicht kaputt?“ kommt dann die kluge Antwort eines erst neuerlich von den versammelten Idioten zum „Antworten-König“ gekürten Volltrottels: „Na und? Kriegst bei uns an jeder Ecke mit Vertrag fürn Euro nen neuen Handy.“

Experten fühlen sich von diesen Portalen also zu Recht abgestoßen und sehen auch für sich keine Notwendigkeit, kostenlos ihr Expertenwissen da einzubringen.
Eine gute Möglichkeit, aus dem Dilemma zu entkommen, wäre es für die Betreiber solcher Portale, wenn sie ausgewiesene Experten gegen ein kleines aber angemessenes Honorar eine Art Schlußredaktion durchführen ließen. Aber dann wären es ja keine Laienportale mehr…

Daß Laienportale, bzw. Portale die Wissen sammeln, funktionieren, das beweist doch die freie Enzyklopädie Wikipedia in bester Weise. Auch in Wikipedia steht viel Schrott, vor allem bei Themen, die vorzugsweise Jugendliche interessieren. Aber alles in allem trägt die Masse der wissenden Ameisen, die ein WIki aufbauen, soviel an Wissen zusammen, daß unterm Strich etwas Gutes dabei herauskommt. Sich alleine auf Wikipedia zu verlassen, das ist trotz allem Wohlwollen ein nicht zu unterschätzendes Risiko.
Sich aber auf Wissensportale zu verlassen, die von jedermann aus der Anonymität der Blödmasse heraus mit Antworten bestückt werden und in denen hauptsächlich aufgeschnapptes und dann falsch verstandenes oder schlecht wiedergebenes Hörensagen-Halbwissen veröffentlicht wird, das ist grobe Fahrlässigkeit.

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Deshalb stehen rund 2.000 Artikel in dieser Rubrik hier. Nach und nach, so wie ich die Zeit finde, räume ich hier auf.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 26. November 2012 | Peter Wilhelm 26. November 2012

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