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Ungarn oder Bulgarien?

frau ruckdäschl

„Ich bin ja sowas von entrüstet!“

Die etwas grelle Stimme von Frau Ruckdäschl reißt mich aus meinen Gedanken, die sich gerade mit Heisenberg und dem Verhältnis seiner Thesen zum sozialen Abstieg der nicaraguanischen Bergbauern beschäftigten. Über solche unwichtigen Dinge denke ich immer nach, wenn ich unseren Müllbeutel zur Tonne trage. Mann, ist die wieder voll! (Nicht die Ruckdäschl, sondern die Tonne.) Die Ruckdäschl trinkt ja nicht viel, abends mal einen Eierlikör oder an Festtagen auch schon mal einen Magenbitter. Zu mehr reicht ihre Zeit nicht, denn wenn man trinkt, muß man die Klappe halten und genau das fällt Frau Ruckdäschl schwer.
Ich tue so, als ob ich sie auf ihrem Balkon gar nicht bemerke, doch das kennt die Scherohnien-Zupferin schon, sie zupft weiter an den jungen Scherohnientrieben und plappert einfach vor sich hin: „Weil Ihre Frau doch auch von da ist…“


„…immer willig, will Arzthelferin werden“


Jetzt wird es doch interessant und ich blicke zu ihr hinüber.

„Guten Morgen, Frau Ruckdäschl.“

„Die ist doch von da, oder?“

„Wer ist von wo?“

„Na, ihre Frau, die kommt doch von woanders.“

Um es noch einmal meinen Lesern klar zu machen: Die Allerliebste ist ein Gewächs des Neckarufers, hier bei Heidelberg geboren, recht groß geworden und zur Schule gegangen. Sie spricht meist den weichen, leicht singenden Dialekt der Nordbadenser und nur meiner schriftstellerischen Tätigkeit ist es zu verdanken, daß sie allenthalben als ungarische Steppenreiterin bekannt ist. Dazu ist es gekommen, weil sie Eigenschaften und Angewohnheiten hat, die man nichtmals mit ihrem Geschlecht entschuldigen kann. Sie ißt beispielsweise Bratkartoffeln mit Milch! (Und auch das muß ich auf ausdrücklichen Wunsch der Allerliebsten relativieren: Sie hat von ihren Großeltern dieses merkwürdige Gericht übernommen, für sich für gut befunden und hat das während unserer ganzen Ehe vielleicht drei Mal gegessen. Ich fand das aber so bemerkenswert, daß ich es schon mehrfach in meinen Geschichten erwähnte. Das aber wiederum hat zur Folge, daß überall wo wir hinkommen, die Leute meinen, ihr eine besondere Freude zu machen und Bratkartoffeln mit Milch servieren. Also bitte: Sie ißt das nur, wenn sie da ganz große Lust drauf hat und keinesfalls immer und unter allen Umständen.)

Aber, und damit komme ich auf die ungeklärte Herkunft der Allerliebsten zurück, ihre Vorfahren stammen irgendwo vom vorderen Balkan. Ob das eher Bulgarien, Albanien, Rumänien, Jugoslawien oder die Tschechei oder gar Ungarn war, läßt sich nicht mehr so genau verifizieren, denn die waren mal hier, mal da. Deutsche Auswanderer waren es sowieso, von dort flüchten mußten sie in den Wirren des Zweiten Weltkrieges, also lange vor der Geburt der Allerliebsten. Aus diesem ungeklärten Wurzeltum ergeben sich diverse Ansatzpunkte für meine spöttischen Bemerkungen. Denn wer hat schon eine Frau, die auf ungarisch träumt, auf rumänisch flucht, sich tschechisch bewegt und Bratkartoffeln mit Milch ißt? Für mich steht schon allein aufgrund ihres Temperamentes fest, daß da mal ein Zigeunerbaron durch den Stammbaum geritten sein muß.
Das weiß offenbar auch die Ruckdäschl, denn sie hebt ja auf die auswärtige Herkunft meine Frau ab. Ich stelle das richtig:

„Meine Frau stammt hier aus dem Dorf.“

„Ja schon, aber wir wissen doch alle, daß die früher mal was Anderes war. Ist die nicht aus Bulgarien?“

„Nein. die kommt nicht aus Bulgarien.“

„Wissen Sie, ich bin nämlich vollkommen entsetzt.“

„Was regt Sie denn so auf?“

„Na diese Bulgarinnen, was die so treiben!“

Eine leichte Röte steigt ihr ins Gesicht und aus ihrer Stimme klingt Entrüstung.

„Was machen denn diese Bulgarinnen?“

„Ihre Frau bügelt doch auch so viel.“

„Das ist zwar nicht die Antwort auf meine Frage, stimmt aber. Wir sind vier Personen und obwohl wir ziemlichen Wert auf pflegeleichte Bekleidung legen, muß die Allerliebste so manchen Korb voll Bügelwäsche bewältigen. Ich mache ja schon vieles im Haushalt, aber Bügeln liegt mir nicht.

„Ja, hin und wieder bügelt meine Frau, das stimmt“, sage ich.

„Na sehen Sie!“ äußert sich die Scherohnie triumphierend.

„Was soll denn am Wäschebügeln so besonders sein?“

„Na hören Sie! Haben Sie heute keine Zeitung gelesen?“

Sicher habe ich Zeitung gelesen, aber ich lese die örtliche Tageszeitung, während die Scherohnie, wie könnte es anders sein, die BILD-Zeitung bevorzugt. Und genau die holt sie jetzt auch aus ihrem Wohnzimmer auf den Balkon und hält mir die Titelseite hin. Dazu sagt sie:

„Da steht, daß sich die Bulgarinnen beim Bügeln selbst befriedigen, so eine Schweinerei!“

Ich schaue mir die Schlagzeile der Zeitung näher an und lese:

„Bulgarinnen finden Bügeln befriedigend“

Blöde Schlagzeile! Ich habe gar keine Lust, der Scherohnie näher zu erklären, warum sie das mal wieder alles falsch verstanden hat. Einfacher ist für mich die Aussage:

„Wie gut, daß meine Frau keine Bulgarin ist.“

„Wo kommt die denn genau her?“

Nachdem das mit der Herkunft der Allerliebsten-Ahnen so kompliziert ist, sage ich der Einfachheit halber:

„Aus Ungarn.“

„Ha!“, kräht die Scherohnie, blättert etwas in der Zeitung und hält mir Seite 3 hin.
„Sehen Sie, ich wußte es doch!“

Ich finde die BILD-Zeitung ja sowieso Scheiße, aber daß die ausgerechnet heute eine nackte Frau abbilden müssen und dann noch eine blöde Überschrift drüberschreiben, finde ich Oberscheiße:

„Marika (21) aus Ungarn, immer willig, will Arzthelferin werden“

Später kommt die Allerliebste nach Hause und findet mich am Bügelbrett stehend vor.

„Was ist denn in dich gefahren? Du bügelst doch sonst nie.“

„Ach, ich sitze den ganzen Tag, da tut das mal ganz gut.“

Von der Art, wie die Allerliebste jetzt auf meinen bügeltechnischen Tatendrang eingehen wird, mache ich abhängig, ob ich der BILD-Zeitung vielleicht doch mal Glauben schenken kann.

Doch die Allerliebste sagt nur: „Prima!“, geht ins Schlafzimmer und holt mir noch einen Wäschekorb voll Bügelwäsche. Damit steht zumindest unverrückbar fest, daß sie nicht aus Bulgarien stammt.

„Sag mal“, frage ich meine Frau, „was wolltest du eigentlich früher mal für einen Beruf lernen?“

„Na hör mal, das habe ich dir doch schon so oft erzählt, ich wollte immer Arzthelferin werden.“

Also doch! Eigentlich müßte ich der BILD-Zeitung und der Scherohnie dankbar sein, die endlich Licht in das Dunkel des Stammbaumes der Allerliebsten gebracht haben. Sie stammt also eindeutig aus Ungarn.

So, und jetzt beende ich dieses lästige Schreiben, denn ich muß ausprobieren, ob das mit dem „immer willig“ auch stimmt.

Bis später!


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Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 11. Februar 2014 | Peter Wilhelm 11. Februar 2014

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