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Steine retten

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„Unser Kevin-Luca wird ja mal Physiker.“

Das sagt Mareike Aschenbrenner-Kaltenbach zu mir. Kevin-Luca ist vier Jahre alt und gerade dabei einen Kugelschreiber in die Steckdose unseres Wohnzimmers zu stecken.

„Äh, ich glaube, das könnte gefährlich werden“, sage ich und deute auf den stromschlaggefährdeten Kindskopf.

Mareike springt aber nicht auf, reißt auch nicht ihr Kind aus der Gefahrenzone, sondern sagt stattdessen:

„Kevin-Luca! Du weisst was Du tust, also wirst Du auch die Konsequenzen zu tragen haben.“

Kevin-Luca hält kurz inne und versucht dann weiter sein Glück. Dabei kräht er mehrmals: „Quenzen, Quenzen…“ und das er nicht an meiner Steckdose verbruzzelt liegt nur daran, daß der Kugelschreiber aus isolierendem Plastik besteht und viel zu dick ist, um in die Steckdose zu passen.

„Wir finden ja, daß Kevin-Luca seine Erfahrungen machen soll. Die mystische Erfahrungsebene ist dabei ein Ausgleichpotential für die Daseinsebene des nichtfeinstofflichen Bereichs, weißt Du?“

Ja ja, denke ich mir, das ist genau das, worüber ich immer so nachdenke, wenn mir so gar nichts anderes einfällt….

Mareike Aschenbrenner-Kaltenbach ist die Vorsitzende des Fördervereins der Städtepartnerschaft zwischen unserem Dorf und einem Kaff an der französischen Atlantikküste, dessen Namen ich nichtmals besoffen aussprechen könnte. Wenn sie es sagt, klingt das so ähnlich wie „Lasemonsdelasürlemeralaplogerno“ oder so…

„Ich trage ja die Nabelschnur von Kevin-Luca in einem Beutel um den Hals, dadurch bin ich immer mit Kevin-Luca verbunden und spüre seine Schwingungen. Von dieser Situation an der Steckdose geht keine negative Schwingung aus, weißt Du?“

Sie duzt mich einfach und sowas hasse ich. Das gestehe ich Leuten zu, die mit mir verwandt sind, denen ich das Du angeboten habe oder bei denen es sich aus dem gesellschaftlichen Kontext ergibt. Aber diese Mareike Aschenbecher-Irgendwas kenne ich nicht, will sie eigentlich auch gar nicht kennen, werde sie aber im Moment nicht los, denn sie will einen ansehnlichen Betrag von den Förderern der Gemeinde eintreiben, damit man in dem unaussprechlichen Atlantikdorf eine historisch bedeutsame Felskante vor dem Absturz in Meer retten kann.
Ich bin in ihren Augen sicherlich ein Banause, aber ich muss zugeben, daß mir dieser doofe französische Steinbrocken scheißegal ist.
Das habe ich ihr auch gleich zu Anfang, wenn auch mit anderen Worten, deutlich zu verstehen gegeben. Offenbar lässt das meine Besucherin aber völlig unbeeindruckt und sie hat scheinbar beschlossen, die Sache durch eine Art Sitzstreik auszusitzen. Insgesamt ist sie jetzt nämlich schon eine Stunde da und ich habe von ihr erfahren, daß „der“ Raphael, nämlich ihr Mann, Sozialarbeiter auf einer Wiedereingliederungsranch ist, auf der gestrauchelte Migrantenkinder durch das Reiten auf Ponys zu tauglichen Mitgliedern der Gesellschaft umgeformt werden. Sie, also Mareike, fährt da am Wochenende auch immer hin und unterstützt „den “ Raphael, indem sie eine indianische Schwitzhütte aufbaut, in der dann die Gestrauchelten sich das Böse aus den Rippen schwitzen dürfen.

Irgendwie ist mir kotzübel, ich kann mit so Leuten nichts anfangen und ich bezweifle, daß Kevin-Luca unter diesen Bedingungen wirklich eines Tages Physiker wird, eher landet er beim Psychologen.

„Nein, nein, das haben wir schon entschieden und der Kevin-Luca ist damit auch einverstanden. Er interessiert sich besonders für Kernphysik, nicht wahr, Kevin-Luca?“

Kevin-Luca kratzt inzwischen mit dem Plastikkugelscheiber auf meinem schönen Laminat herum und kräht: „Quenzen, Quenzen…“

„Könnten Sie vielleicht Ihrem Kind sagen, daß er das da mit dem Kugelschreiber lässt, das gibt nämlich Kratzer“, versuche ich auf diese Mareike einzuwirken, doch die lehnt sich zurück und sagt:

„Also das lehnen wir ab. Verbote sind Einschränkungen und der Entwicklung eines Kindes nicht förderlich. Wir diskutieren abends immer mit Kevin-Luca. lassen den Tag Revue passieren und räuchern dann mit getrocknetem isländischen Bockshornklee.“

„Das können Sie ja bei sich zu Hause so machen, aber ich habe gerade keinen getrockneten Bockshorn da und das Laminat ist ziemlich neu.“

„Du musst Dich frei machen von der Bindung an irdische Güter. Was zählt ist doch nur das Feinstoffliche.“

„Ganz ehrlich, mir ist es egal, was Sie mit Ihrem feinen Stoff machen, ich würde es nur gerne haben, daß Ihr Sohn jetzt damit aufhört.“

Etwas pikiert erhebt sich die Steinretterin und bemüht sich zu Ihrem Sohn und nimmt ihm den Kugelschreiber weg, worauf der in ein Geschrei verfällt, was mir beinahe das Trommelfell zum Platzen bringt.
Mareike scheint das gar nicht zu hören, sie spricht einfach ein paar Dezibel lauter und eine Oktave höher:

„Wie ist es denn jetzt mit der Spende? Wieviel willst Du jetzt spenden?“

„Gar nichts! Und von wollen konnte überhaupt noch nie die Rede sein.“

„Ja aber ich bin doch extra hergekommen!“

„Habe ich Sie eingeladen?“

„Dir liegt also nichts an der Erhaltung der historischen Abrisskante von Lasemonsdelasürlemeralaplogerno?“

„Sie sagen es!“

Kevin-Luca ist inzwischen in unser Badezimmer gelaufen und ich höre, wie er andauernd die Klospülung betätigt. Anfangs denke ich nich, der Kleine müsse nur mal müssen, aber das Spülen hört nicht auf.

„Kevin-Luca hat sich eingeschlossen“, klärt mich Mareike auf, „der kommt jetzt so schnell nicht wieder raus. Wenn er so unterwegs ist, spült er alles im Klo runter, Zahnpastatuben, Zahnbürsten, Lippenstifte…“

Ich lehne mich gelassen zurück. So läuft das also! Die hat ihren verzogenen Wechselbalg mitgebracht, damit er die möglichen Spender unter Druck setzt. Mit mir nicht!

„Hast Du einen elektrischen Rasierer im Bad?“, fragt Mareike scheinheilig.

Mir schwant Übles und ich nicke.

„Dann wird er gleich anfangen, Eure Frotteewaren zu rasieren, das macht er besonders gerne.“

Aus dem Bad dringen mittlerweile polternde Geräusche und man hört auch das Splittern von Glas.

„Wie wäre es denn, wenn Sie Ihrem Sohn sagen, daß er damit aufhören soll.“

„Dieser Fels an der Atlantikküste…“

„Wieviel?“

„50 Euro!“

Ich zücke den Geldbeutel, lege 50 Euro auf den Tisch und Mareike Aschenbecher-Nimmersatt stößt nur einen kurzen Pfiff aus und sofort hört der kleine Spinner im Bad auf zu randalieren. Zwei Minuten später steht er neben seiner Mutter, brav wie ein Lämmchen und die verabschiedet sich erstaunlich schnell. Allerdings sagt sie noch:

„Der Raphael sammelt auch und zwar für den Erhalt des historischen Weinlaubgehwegbelages ab Ortsrand und wir haben noch eine Tochter!“

„Wieviel?“

„Zwanzig!“

„Okay!“

Ich zahle und vorsichtshalber frage ich: „Das war’s dann jetzt, oder?“

„Aber natürlich, wir kommen erst nächstes Jahr wieder!“

„Können Sie das abbuchen?“


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Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 26. November 2012 | Peter Wilhelm 26. November 2012

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