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Spitze Feder

Mit einem Griff in die Jeans macht Alice Schwarzer Bohnenkaffee

waschmaschine

禪 Das Zen des Waschens

Ich kann mich noch recht gut an die Zeit erinnern, es muss so Mitte der Sechziger Jahre gewesen sein, als das Gros der Haushalte noch keine Waschmaschinen hatte, sondern Waschküchen. Darin gab es einen, von unten analog, sprich mit Holz, Briketts oder Kohle, befeuerten monumentalen Waschkessel, in dem die Wäsche einer ganzen Großfamilie mit einem schweren, landläufig als Waschprügel bezeichneten, Holzstab unter ständigem Rühren in der brodelnden Lauge von Verschmutzungen befreit wurde.

Nach diesem beinahe meditativen Ritual wurde die tropfnasse Wäsche dann entweder von Hand ausgewrungen und zum Trocknen mittels hölzernen Klammern auf einer Wäscheleine fixiert, oder, in Haushalten mit technisch und finanziell höherem Level, vor dem Aufhängen mittels elektrisch betriebener Wäscheschleuder grob entwässert. Das mag ziemlich nostalgisch klingen, und das ist es vermutlich auch irgendwie.

Das gesamte Geschehen, bei dem in der Regel nur Frauen anwesend bzw. beteiligt waren, lange bevor Alice Schwarzer journalistisch und emanzipatorisch in Erscheinung getreten ist, oder dies auch nur annähernd Gegenstand kontroverser Exzesse in allen Talkshows gewesen wäre, diese mithin einstmalige reine Frauendomäne bot, über den puren Zweck der textilen Hygiene, auch noch adäquate Gelegenheit zur Erörterung soziologischer Hypothesen und aktueller Geschehnisse aus dem urbanen Umfeld.

Waschen war mithin eine beinahe schon spirituelle Handlung, ein Zustand meditativer Versenkung und somit durchaus vergleichbar mit dem Zen-Buddhismus, bedenkt man, dass nach der Entnahme der Wäsche aus dem Kessel und dem hautverträglichen Abkühlen der Waschlauge, meist noch die gesamte Kinderschar darin gebadet wurde. Dies nannte man Waschtag und empfand es wahren als Quell der Sinne. Am fest eingeplanten Samstagnachmittag traf man sich in der Waschküche, und wenn die zugegebenermaßen schwere körperliche Arbeit dann erledigt war, duftete alles nach würziger Kernseife: die Waschküche, die Wäsche und die Kleinen.

Wer sich noch daran erinnern kann, und vielleicht nostalgisch schwelgend davon erzählt, erntet von der Generation I-Phone von Verwunderung, über Unglauben bis zum Mitleid. Im 21. Jahrhundert mutet das Zen des Waschens aus den Sechzigern wie ein Artefakt aus einer archäologischen Grabung. Bestenfalls lustig, aber doch eher befremdlich bis peinlich: „was Papa, Du bist auch in diesem Waschkessel gebadet worden? Mit Deiner Schwester, Deinem Cousin und Deiner Cousine? Zur gleichen Zeit, im gleichen Wasser? Igitt, ist das eklig“.

Eine gedankliche Vitrine im technischen Museum aus der Wirtschaftswunderzeit, an der sich die vernetzten Gören die Nase plattdrücken, läppisch herumkichern und Fotos dieser Geschichte aus grauer Vorzeit Stande Pede twittern und in ihrer WhatsApp- oder Facebook-Gruppe posten.

Niemand heutzutage denkt beim Thema Waschen an die gesellige Damenrunde, die den gemeinsamen Samstagnachmittag emsig in der Waschküche verbrachte, dabei das eine oder andere Schwätzchen hielt, sich zwischendurch, meist draußen im Hof, selbstgebackenen Kuchen und handgebrühten Kaffee, ich korrigiere: Bohnenkaffe, gönnte und nach getaner Arbeit mit sauberer Wäsche und ebensolchen Kindern ins Haus ging.

Heute erfolgt das Reinigen der Wäsche in rechnergesteuerten Waschvollautomaten, die mit Quad-Core-Prozessoren, einem hochspezialisierten Betriebssystem und einer ganzen Armada von Sensoren die Gewebeart, sowie den Verschmutzungsgrad der eingegebenen Wäsche analysiert und daraus die optimale Behandlung errechnet; und dies stets unter Berücksichtigung eines effizienten Einsatzes von Wasser, Waschmittel und Energie.

Im Gegensatz zu der gleichermaßen unbändigen wie ungeregelten Kraft der eingangs beschriebenen Wäscheschleuder und der damit einhergehenden Vibrationen, die die Kleinen im Stile des texanischen Bullenreiters erleben durften, emittieren die modernen Geräte des oberen Preissegments lediglich ein sonores Brummen und entziehen dem Geschehen jeglichen Thrill, den wir Kinder früher am Waschtag über alles liebten.

Heute meldet eine kostenlose App der Gerätehersteller sämtliche aktuellen Daten der laufenden Clean-OP via W-LAN in Echtzeit an das Smartphone, damit sich der hippe User bei Latte-Macchiato und San Pellegrino selbst im mitternächtlichen Meeting der Kreativ-Abteilung mit einem einzigen Griff in seine Jeans jederzeit über Status und Verbrauch informieren und den Prozess gegebenenfalls modifizieren kann.

Ich werde mich natürlich hüten, die zeitgenössisch technische High-End-Prozedur abzulehnen. Auch in meinem Haushalt gibt es zu diesem Zwecke selbstredend einen hochwertigen Maschinenpark, allerdings Old School, nicht smart, ohne Netzzugriff. Aber ich denke ab und an gerne mal an das Zen des Waschens zurück und freue mich, dass ich es noch erleben durfte.


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Spitze Feder – Spitze Zunge

Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 3. Februar 2020 | Peter Grohmüller 3. Februar 2020

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