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Spitze Feder

Keine Angst, alle nur Zahlenspiele

Zahlen

von Peter Grohmüller

Mathematik ist doch ziemlich geil, oder? Um es gleich vorweg zu sagen: Ich rede hier eigentlich von den Grundrechenarten und nicht von solch exotischen Kopfgeburten wie Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten oder Fibonacci-Folgen. Nichts ist wirklich plausibler als Addition, Subtraktion, Division und Multiplikation. Die Grundrechenarten laden, neben praktischen Anwendungen im Alltag, zu verblüffendem Schabernack und ebensolchen Zahlenspielen ein, wenn man deren nicht grundsätzlich abgeneigt ist. Beispiel gefällig?

Eine Attosekunde dauert 10-18 Sekunden, ausgeschrieben 0,000 000 000 000 000 001. Das ist der millionste Teil eines millionsten Teils einer millionstel Sekunde. Hä? Eine Gruppe von führenden Attosekunden-Spezialisten um Ferenc Krausz, George Tsakiris und Klaus Witte vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching, stellte vor kurzem einen Laser vor, mit dem sich ultrakurzen Lichtblitze im Attosekunden-Bereich darstellen lassen.

Wozu man das braucht?
Um Vorgänge im Inneren eines Atoms in Echtzeit zu messen, meinen die Max-Planck-Jungs.
Wem das nutzt?
Keine Ahnung.

Aber erstens ist es egal, denn das Wesen der Grundlagenforschung ist nun mal, dass man a priori nicht gleich auf eine Nutzanwendung schielt, zweitens ist es fantastisch, dass man so etwas überhaupt bauen kann…finde ich zumindest. Meist dauert es ohnehin nicht lange, bis findige Unternehmen Erkenntnisse der Grundlagenforschung in satte Profite umzuwandeln verstehen, ohne sich an deren steuerfinanzierten Kosten beteiligt zu haben. Dummerweise sind oft Waffenschmieden darunter. Aber das ist eine andere Baustelle.

Auch ein schönes Zahlenspiel: nach Hochrechnungen des Versicherungskonzerns Allianz kletterte das weltweite Brutto-Vermögen der privaten Haushalte anno 2017 um sagenhafte 7,1 % auf ein neues Rekordhoch von 169.200.000.000.000 € (in Worten 169,2 Billionen Euro). Ich rede hier ausschließlich von profanen Dingen wie Bargeld, Bankeinlagen, Wertpapieren, Versicherungen und Pensionsfonds. Nicht eingerechnet sind hier nämlich Immobilien, die ja auch irgendwie einen Wert darstellen, wie man weiß. Abzüglich aller Schulden stiegen die Geldvermögen auf 128.500.000.000.000 € (in Worten 128,5 Billionen Euro) – ebenfalls ein Rekordhoch.

Falls jemand mit solchen Zahlen üblicherweise nicht hantiert und etwas am Rotieren sein sollte: 1 Billion entspricht 1.000 Milliarden, oder 1 Million Millionen. Zuviel für ein Portemonnaie, denn ein 100-€-Schein wiegt ein knappes Gramm. 128,5 Billionen Euro wiegen demnach in 100-€-Scheinen 1.285.000 Tonnen. Wollte man sie in 38 Tonner LKWs mit je 20 Tonnen Nutzlast transportieren, bräuchte man 64.250 dieser dicken Brummis. Das ergäbe einen Konvoi von 1.285 km bei einer Länge von je 20 m. Das Gewicht der Verpackungen und der Europaletten habe ich der Einfachheit halber übrigens unterschlagen. Das größte Containerschiff der Welt, die OOCL Hong Kong, hat 21.413 Stellplätze für Standardcontainer. Man müsst den 400 Meter langen Pott also volle dreimal chartern, um die 128.500.000.000.000 € in 100-€-Scheinen zu transportieren. Dies nur am Rande bemerkt – als kleines Zahlenspiel.

Bei einer geschätzten Weltbevölkerung von rund 7,5 Milliarden Menschen besitzt jeder Erdenbürger also rein statistisch gesehen knapp 17.000 €. Haut aber dummerweise so nicht ganz hin, denn die Verteilung der Kohle läßt zu wünschen übrig: Die reichsten zehn Prozent besitzen 101.515.000.000.000 €, oder 79 % dieses Geldvermögens. Die 8 Reichsten alleine 50%, also 64.250.000.000.000 €. Es gibt diesem Zahlenspiel zufolge also nicht nur unter deutschen Brücken und in der Frankfurter Taunusanlage, sondern selbst unter den Besitzern von Yachten und Rolls Royce oder Bentleys noch arme Schlucker.

In der Bundesrepublik wandern jährlich 25 Millionen Tonnen – 50% aller erzeugten Lebensmittel auf dem Müll, obwohl sie vollkommend in Ordnung sind. Es wird einfach zu viel von allem produziert. OK, ein Teil davon landet in den Regalen der Tafelläden für die Armen. Wir sind ja schließlich Christenmenschen und haben ein soziales Staatswesen. Nach erfolgter Armenspeisung landet der Rest jedenfalls in der Tonne, damit zum einen die Preise stabil bleiben und weil zum anderen schließlich dauernd neuer Nachschub produziert wird. Dafür wäre im Supermarkt ja kein Platz, wenn man das alte Zeug nicht wegwerfen würde. Ist doch logisch, oder?

2016 wurden von der EU Subventionen in Höhe von 6,4 Milliarden € an die deutsche Landwirtschaft ausgezahlt. Das Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik Deutschland betrug im gleichen Jahr knapp 3.140 Milliarden €. Davon entfielen 0,7% auf die hiesige Landwirtschaft, also rund 22 Milliarden €. Die Rechnung eines Milchmädchens sähe demnach wie folgt aus:

Damit die Hälfte aller Lebensmittel, also 25 Millionen Tonnen, problemlos auf dem Müll landen kann, zahlt die EU also 6,4 Milliarden € an die deutschen Landwirte? Und wenn die deutschen Bauern nur soviel produzieren würden, wie man hierzulande braucht? Dann müssten man doch die 25 Millionen Tonnen erst garnicht anbauen, oder? Dann könnten die EU und die deutschen Steuerzahler glatt die 6,4 Milliarden € Subventionen einsparen und für anderes ausgeben. Das wäre mal eine gute Sache, oder?

Dann bräuchte man aber auch viel weniger Bauern und viel weniger Äcker. Was sollte man mit den ganzen Bauern und den ganzen Äckern dann aber tun? Und wohin sollten die Schweinezüchter aus Vechta und Umgebung die ganze Gülle kippen, wenn es weniger Äcker gäbe? Und was sollten die Bauern mit den tausenden Tonnen von Kunstdünger anfangen? Oder wohin sollten sie ihre hunderte Hektoliter Glyphosat spritzen, wenn es weniger Äcker gäbe? Und, und, und…Gütiger Himmel, das wäre ja…wäre das ja. Am besten, wir lassen alles, so wie es ist. Am Ende würden vielleicht noch die Felder mit dem ganzen Schweinemist doppelt so übel stinken und die Regale in den Tafelläden für unserer Arman wären DDR-mäßig gähnend leer. Und das kann ja nun schließlich keiner wollen. Aber zum Glück ist das ja nur ein Zahlenspiel, und wir haben im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und in der EU eben keine einfältigen Milchmädchen, sondern lauter kluge Köpfe.

Der Mount Everest ist ein Berg in Nepal an der Grenze zu China. Mit einer Höhe von 8848 m ist er der höchste der Erde…also vom Meeresspiegel aus gemessen. Palau ist ein Inselstaat im Pazifischen Ozean und im Durchschnitt 2 m hoch…ebenfalls vom Meeresspiegel aus gemessen. Ein modernes SUV wiegt leer ca. 2 Tonnen und ist etwa 1,7 m hoch…von der Straße aus gemessen, egal wo es fährt. Es verbraucht viel Sprit und pustet dabei jede Menge CO2 in die Luft. Dadurch, also durch die vom Menschen verursachte Emission von Treibhausgasen, soll die Atmosphäre angeblich immer wärmer werden und die Eismassen der Polkappen schmelzen. Dadurch wiederum soll der Meeresspiegel um ca. 2 – 3 Meter ansteigen. Also auch durch den CO2-Ausstoß aus unseren geilen V8-SUVs…sagt man zumindest.

Nimmt man das Worst-Case-Szenario als gegeben, ist Palau demnächst minus ein Meter hoch bzw. komplett unter Wasser, und die Bewohner müssen sich entweder Kiemen wachsen lassen und sich von Seetang ernähren, oder in eine etwas höher gelegene Gegend umsiedeln. Der Mount Everest wäre dann ebenfalls kleiner und noch 8846 m hoch…also vom Meeresspiegel aus gemessen. Das SUV aber immernoch 1,7 m. Das ist doch verblüffend, oder? Aber es ist ja nur ein Zahlenspiel. Ich hätte ohnehin weder das Geld für ein SUV, noch für einen Flug nach Palau oder Katmandu. Insofern kann es mit egal…

Und falls ich mich bei dem ganzen Kuddelmuddel verrechnet haben sollte: Keine Angst, alle nur Zahlenspiele


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Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 16. Januar 2024 | Peter Grohmüller 16. Januar 2024

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