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Carina und Doc im Bistro Sitte

Ich werde es nie verstehen, warum Konzerte von lokalen Bands, Gruppen und Duos nie zu dem Zeitpunkt beginnen, der auf dem Plakat aufgedruckt ist.
Irgendwie kriegen das doch alle anderen auch hin. Man stelle sich vor, man geht sonntags Morgen in die Kirche zum 9 Uhr Gottesdienst und muß dann erst noch eine Dreiviertelstunde zuschauen, wie Pastor und Ministranten Kabel ziehen, Manuskripte wälzen und sich in kleinen Vorbereitungen ergehen.
Aber das ist ein Problem, das irgendwie alle nicht so ganz professionellen Musiker haben.
Ich bin ja nun kein Musiker, zumindest keiner von der Sorte die auftritt, und wenn ich mit meiner Kunst auftrete, dann aber ganz genau zu dem Zeitpunkt, der angekündigt war.

Das nur mal vorneweg, weil mir das bei so vielen Bands hier in der Region und anderswo schon so oft aufgefallen ist.

Am vergangenen Samstag gaben sich Carina Koslik und „Doc“ Andreas Kraus ein Stelldichein im Bistro Sitte, einer der Traditionskneipen in Mannheim-Friedrichsfeld. Nachdem die Gaststätte „Pfälzer Fritz“ über ein Jahr lang mit beinahe wöchentlichen Musik-Acts glänzte, ist dort durch einen Pächterwechsel das musikalische Treiben auf das Abspielen von CDs geschrumpft und so wurde es Zeit, daß sich ein anderer Wirt besinnt und mal wieder eine Bühne für Newcomer, Semiprofessionelle und Hobbymusiker bietet.

Die Voraussetzungen in der „Sitte“ sind nicht gerade die besten, aber das darf Musiker nicht stören, wenn ihr Vortrag gut ist, „rocken“ sie jeden Schuppen.

Haben Doc und Carina das geschafft?

carina-doc

Nunja. Ja.

Schon lange war Carina auf der Suche nach einer Gruppe, bei der sie -wenigstens probeweise bzw. fallweise- mal mitsingen konnte und da diese Bemühungen, nicht aufgrund mangelnden Könnens, sondern aus oft übertriebenem basisdemokratischen Bandgerangels, bisher nichts fruchteten, hatte ich Carina vor längerer Zeit schon einmal für einen Kurzauftritt mit einer Jazzband und gemeinsam mit dem legendären Jochen Brauer verpflichtet. Bei dieser Veranstaltung brillierte sie mit ihrer glockenklaren Stimme und bezauberte das Publikum.

Umso freudiger nahm ich zur Kenntnis, daß sie nun in dem wirklich brillianten Gitarristen und Bassisten Doc Kraus einen musikalischen Partner gefunden hat.

Doc an der Gitarre, Carina am Mikrofon, als Duo der erste größere Auftritt vor Live-Publikum, meine Güte, was für eine Last muß auf dem Duo gelegen haben!

Doch Doc Kraus ist Profi genug, griff beherzt in die Saiten und glockenklar und hell, ohne auch nur den Anflug von Nervosität und Lampenfieber zu zeigen, intonierte Carina ihre Balladen.
Damit hatten die beiden das Publikum sofort gefesselt und der Applaus war riesengroß.
Bewundernswert: Die junge Künstlerin ließ sich auch durch das kneipentypische Hintergrundgejohle nicht aus der Fassung bringen.

Ballade um Ballade sang Carina mit klarem, hellem Mezzosopran und es war ihr nicht anzumerken, daß sie zumindest mal mit diesem Partner zum ersten Mal auf der Bühne stand.
Zu Doc Kraus muß man nicht viel schreiben, er ist Profimusiker und versteht es, jede Klippe zu umschiffen.
Sympathischerweise war er es, der ein- zweimal die Akkorde verbruzzelte und ganz profi-like hatte sich Carina dadurch nicht aus dem Konzept bringen lassen.

Gut drei Stunden (!) ging das Konzert mit einigen Pausen und man muß einfach sagen, daß es durchweg als gelungenes Debüt zu bezeichnen ist.

Bei einigen Liedern hätte man Carina einen etwas stimmmutigeren Partner gewünscht, Doc hat sich da doch ziemlich zurückgehalten, und bei einer so langen Programmdauer wäre ein Programm mit etwas mehr Abwechslung wünschenswert gewesen.
Man hat zu deutlich gemerkt, daß sich das Duo genau auf die Balladen konzentriert hatte, die Doc als besonders geeignet für Carinas Stimme, die aber durchaus ausbaufähig und facettenreicher ist, herausgesucht hatte.

Diesem Duo fehlt kein weiterer Musiker, ihm fehlt es nicht an elektronischer Technik, nicht an Bühnenshow und nicht an Können, sondern einfach nur an sehr viel mehr Auftrittsmöglichkeiten, um sich selbst vor Publikum ausprobieren zu können. Nur so können die Musiker ausloten, was besonders gut ankommt, was dem Publikum gefällt und welche Teile dann vielleicht doch (noch) zu anspruchsvoll oder mit den eigenen Mitteln nicht machbar sind.

Für einen Debütauftritt bekommen die beiden von mir eine glatte Eins!
Wäre es ein erfahrenes Duo mit jahrelanger Konzerterfahrung, hätte es Abzüge in der A- und B-Note gegeben.

Carinas Art kann man als unprätentiös bezeichnen, manche würden vielleicht auch sagen, daß sie zurückhaltend aufgetreten ist. Zu Balladen paßt aber auch kein Herumgehampel auf der Bühne, jedoch ein kleines wenig mehr Aktion und Interaktion wird sich die junge Künstlerin sicher noch angewöhnen, wenn die ersten Auftritte mal gelaufen sind und etwas mehr Routine eingekehrt ist.

Um das Weitere zu verstehen, muß ich erklären, wer Stips ist. Stips, das ist der Spitzname von Stefan Kraus-Vierling, Vollblutmusiker, Profi und Bruder des oben genannten „Doc“ Andy Kraus.
Kommt Stips in einen Raum, ist er präsent. Der Mann hat Charisma und ist, obwohl er sehr ernsthaft und nachdenklich sein kann, die gute Laune in Person.
Aus zahlreichen Auftritten hier in der Region ist er jedem bekannt und dürfte in der Gegend zwischen Mannheim und Heidelberg bekannter sein als die Bundeskanzlerin.

Und ausgerechnet dieser Stips hatte für den späten Abend angekündigt, zu Carina und Doc hinzuzustoßen.
Gegen Mitternacht war es dann soweit und mit den Worten: „Der Stips ist da!“ betrat er die Gaststätte.

Es dauerte nicht lang, da hatte er die Gitarre in der Hand, das Mikro vor dem Mund, die Herzen der Zuhörer erobert und Stimmung in die Hütte gebracht.
Stips ist eben, was sein Bruder vielleicht doch nicht in diesem Maße ist, ein Entertainer.

Aus dem Nichts, ein paar selbstgereimte, aufgeschnappte und ins Kurpfälzische verschobene Textzeilen zu bekannten Melodien gesungen und schon singt das Publikum mit.
Stips ist eine One-Man-Show, braucht eigentlich niemanden neben sich und dennoch ist er bekannt dafür, in allen möglichen Formationen und mit allen halbwegs begabten Musiker zusammen etwas spielen zu können.
Dabei drängt er sich aber nie in den Vordergrund, bleibt bescheiden, gönnt den anderen ihren Erfolg und trotzdem ist es oftmals so, daß nach einem zweistündigen Auftritt einer wirklich guten Band, der nur am Ende hinzugekommene Stips, vom Publikum mit lauten „Stips!“-Rufen besonders bedacht wird.

hinten: Doc und Carina im Vordergrund: Stips Bild: Achim Wirths

hinten: Doc und Carina
im Vordergrund: Stips
Bild: Achim Wirths

An diesem Abend in der „Sitte“ legte Stips zuerst ein kleines Soloprogramm hin, fand auch noch einen Kneipengast, der einen guten Elvis geben konnte und dann zog sich Stips etwas zurück und versuchte Doc und Carina nochmals zu einem weiteren Auftritt zu bewegen.
Offenbar scheute Carina die Professionalität des großen Stips und zierte sich anfangs etwas. Zu sehr hatte sie die Stücke mit Doc eingeübt, um dann auf eine andere Art der Begleitung und auf die oft sehr frei improvisierte Spielweise des Stips eingehen zu wollen.

Doch irgendwann war der Knoten geplatzt und Gott sei Dank traute sie sich dann, was dem Abend einen ganz besonders gelungenen Abschluß gab!
Auch das vorher im Duett völlig versemmelte „Summer Wine“, nun gekonnt im Duett mit Stips gesungen (Doc am Bass), wurde gerettet und Carina konnte zeigen, daß sie auch dieses Lied richtig gut drauf hatte.

Die Leute klatschten, der Saal blieb lange voll, der Wirt hatte gute Umsätze zu verzeichnen, größere Pannen hatte es nicht gegeben, alles in allem ein Superabend, der allen gefallen hat.

Auch wenn (noch) nicht alles perfekt war, muß man nicht sagen, daß sich da niemand blamiert hat, denn das wäre zu tief gegriffen. Da hat jemand brilliert und gezeigt, daß er was kann. Und dieser jemand war Carina.
Hut ab!


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Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: | Peter Wilhelm 9. Dezember 2013

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