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Türkei 1: Herr Przlcka

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Beim Abendessen im Restaurant eines Hotels saßen neulich zwei Wiener an unserem Tisch. Das Ehepaar war fest der Meinung, ich sei doch sicher der Herr Przlcka aus dem 21. Bezirk.

Daß ich unentwegt beteuerte, eben nicht dieser Przlcka zu sein, störte die Beiden gar nicht und so schloß mich das Ehepaar nur noch mehr in sein Herz.

Die Steigerung ihrer Zuneigung unterstrichen sie, indem sie mich nach fünf Minuten bereits ‚Herr Doktor‘ nannten, dann zu ‚Herr Professor‘ und schließlich zu ‚Herr Obergeheimrat‘ übergingen und sich vor allem stets gegenseitig darin bestärkten, ich sei ganz gewiß jener Przlcka.

Przlcka spricht man übrigens Pritzlitschka aus, das habe ich bis dahin auch nicht gewußt, aber wenn ich schon so heißen soll, dann will ich das natürlich auch ganz genau wissen, weshalb ich mir das mehrfach buchstabieren und vorprechen ließ.

Über die Umstände, warum die beiden Wiener an unserem Tisch saßen, wieso wir in einem Hotel waren und wo sich das Ganze abspielte, werde ich später noch etwas erzählen, denn das ist für den Fortgang der Geschichte zwar sehr wichtig, hier aber im Moment völlig ohne Belang.

Was ich denn so beruflich mache, wollte der Wiener wissen und in solchen Momenten sage ich meistens Journalist. Zwar lebe ich mehr oder weniger ausschließlich von der Schriftstellerei, aber so drei bis vier Artikel für diverse Publikationen veröffentliche ich auch noch jeden Monat. Sagt man aber, man sei Schriftsteller, so hängt es im wesentlichen vom cerebralen Vermögen des Gegenübers ab, ob er überhaupt weiß, was das ist. Viele denken, ein Schriftsteller setze Zeitungszeiten aus kleinen Bleibuchstaben zusammen, das sind vor allem die Älteren. Die Jüngeren gaffen einem ton- und ausdruckslos ins Gesicht, man muß dann noch erklärenderweise hinzufügen, daß man Bücher schreibt, dann nicken sie zwar, ihr Lächeln bleibt aber an der Schwelle zwischen Ahnungslosigkeit und Unverständnis kleben und aus den Augen spricht ein großes Fragezeichen.

„Bücher, diese gebundenen Bücher, mit Seiten drin, zum Umblättern und zum Lesen“, erkläre ich dann meistens und dann wechselt das Fragezeichen unverzüglich zu einem Ausrufezeichen und ich bekomme oft die Antwort: „Bücher, ach ja, stimmt ja, die kenn‘ ich noch von der Schule!“ gefolgt von dem Zustz: „Gibt’s die noch? Ich dachte das gäb’s jetzt nur noch als MP3.“

Vieleicht gehe ich ja irgendwann mal mit der Zeit und spreche meine Bücher gleich aufs Band, Entschuldigung: auf die Festplatte. Es würde mir viel Mühe sparen, denn noch bin ich in einem Alter, in dem ich schneller, aber nicht lieber, spreche als schreibe. Aber dann würde diese Geschichte hier zum Beispiel ganz erheblich an Reiz verlieren, denn wie sollte man den besonderen Klang, Charm und die Schreibweise des Namens Przlcka vermitteln? Den muß man einfach lesen.

Und schon ist mir wieder der Bogenschlag zurück zu meinem Wiener Ehepaar gelungen, gekonnt, wie ich finde. Sie beteuert zum einundzwanzigsten Male, abends nie viel zu Essen, wischt sich dann jedes Mal mit der Serviette den Mund ab und holt sich wieder etwas vom Buffet.

„Ach was, ein Schrüftstöller san Sie, Herr Nationalprofessor? Rosi, hast Du das gehört“, ruft er seiner Frau hinterher, „der Herr Doktor Przlcka ist aan Schrüftstöller.“

Kurz darauf kommt Rosi aus Wien vom Buffet zurück, sie hat sich nur eine Kleinigkeit geholt, so etwa Dreiviertel von einem Lamm in Curry-Zimt-Sauce.
„Nein!“ sagt sie: „Sie soan aan Schrüftstöller!“ und zu ihrem Mann gewandt: „Franzl, am End schreibt der noch was über uns, der Herr Professor.“

Meine Frau stochert währenddessen in ihrem Essen herum, hätte eigentlich schon längst Lust gehabt, sich auch noch was vom Buffet zu holen, will sich aber den Dialog mit Rosi und Franzl nicht entgehen lassen.

„Und was san Sie?“ will Franzl nun von der Allerliebsten wissen und die berichtet von ihrer Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung. Auch das entlockt den Wienern wahre Begeisterungsstürme, ist aber offensichtlich nicht ganz so sensationell und spektakulär wie meine Schriftstellerei.

„Mir san ja auch was“, erklärt Franzl und Rosi nickt. „Ach“, erkundige ich mich: „Was machen Sie denn, wenn ich frage darf.“
Franzl lehnt sich zurück, das Ehepaar schaut sich an, man klärt mit Blicken, wer anfangen darf und entscheidet sich wohl dafür, mit dem weniger bedeutsamen Beruf der Frau anzufangen und sich die Enthüllung seines Berufes als kleine Sensation für später aufzuheben.
„Ich bin Hunderlpfotenzwacklerin“, sagt Rosi und gleichzeitig lehnen sich beide erwartungsvoll in ihren Stühlen zurück. Sie geben uns Zeit, das auf uns wirken zu lassen und die Allerliebste und ich nicken im Gleichtakt, unsere Gesichter zeigen nur mühsam versteckte Rat- und Ahnungslosigkeit und aus unseren Augen sprechen große Fragezeichen.

„Hundepfotenwacklerin?“ erkundige ich mich und hänge vorsichtshalber noch ein „Ach so!“ hintendran.

„Näin! Net Wacklerin, sondern Zwacklerin!“ berichtigt mich Rosi und erzählt, daß ihre doch sehr bedeutsame und für die Menschheit und Tierwelt unverzichtbare Tätigkeit darin besteht, die langgewachsenen Krallen der vierbeinigen Hausfreunde der Wiener Bevölkerung mittels einer Zwackerlzange einzukürzen.

„Nein!“ sage ich ich und heuchle großes Erstaunen, was Rosi sichtlich gefällt und dann sage ich, man ist ja lernfähig: „Frau Veterinärsanitätsrätin, das ist ja ein ganz toller Beruf!“
Franzl und Rosi sind zufrieden, holen sich auch noch bei der Allerliebsten einen höchst anerkennenden Blick ab und dann legt Franzl umständlich die Serviette beiseite, macht eine kunstvolle Pause, holt tief Luft und dann beginnt er mit der Enthüllung seiner professionellen Hintergründe: „Ich, ich bin Ölkawöhschofföhr im Abortationsdienst, Herr Doktor Przlcka!“

Die Allerliebste und ich schauen uns schon wieder ratlos an, tauschen ein paar Fragezeichen aus und dann nicke ich nur, mache dabei aber dieses Mal ein aufforderndes Gesicht, das sagen soll, daß er mehr sagen soll, was er dann auch tut: „Ich fahre einen ÖlKahWöh!“ und erst jetzt verstehen wir, daß er einen Lastwagen chauffiert und ich könnte mich ohrfeigen, daß ich Ölkawöhschofför nicht sofort verstanden habe. „Das ist ja toll!“ sage ich und nicke anerkennend. Die Allerliebste tut mir gleich und fragt: „In was für einem Dienst?“

„Im Abortationsdienst, staatlich, sie verstehen, Frau Doktor?“

Die Allerliebste nickt zwar, doch das sieht nicht überzeugend aus, weshalb Franzl ausführlich erklärt, daß seine Profession darin besteht, mit einem großen Lastwagen durch Wien zu fahren und an bestimmten Stellen einen großen Saugrüssel in die Kanalisation abzulassen, um dort verstopfende Fäkalien abzusaugen. Dann macht er: „Dingdeling Ding Ding – Ding Ding!“ und ich erkenne die weltberühmte Melodie aus dem Film „Der dritte Mann“, das Harry-Lime-Thema, das ja normalerweise auf dem Hackbrett gezittert oder auf der Zither gehackt wird, jenachdem…
Wow, dieser Mann sorgt also dafür, daß Orson Welles nicht in der Wiener Scheiße stecken bleibt…

Ich bin beeindruckt und über meine Lippen kommt nur ein anerkennendes Wort: „Herr Sanitärrat!“
Die Allerliebste verbessert mich: „Sanitärhofrat!“

Ich nicke und erhöhe: „Herr Obersanitärhofrat!“

Franzl strahlt zufrieden und die Allerliebste legt noch nach: „Herr Obergeneralsanitärhofrat erster Klasse!“

Rosi und Franzl nicken, ja, genau so hatten sie sich das vorgestellt.
So soan sie, die Weaner.

Nun sollte ich aber kurz noch erklären, ich hatte es ja angekündigt, warum diese Wiener an unserem Tisch saßen. Ich erwähnte ja schon, daß sich das Ganze in einem Hotel abspielte und der aufmerksame Leser wird eventuell schon ahnen, daß es sich um den Auftakt einer ganzen Reihe von Geschichten handelt.
Die Allerliebste und ich hatten uns im vergangenen Monat auf eine kurze Reise in den vorderen Orient begeben und waren unter anderem auch in der Türkei. Und in eben jenem türkischen Hotel, direkt am Mittelmeer, gesellten sich eines Abends diese beiden Österreicher, sorry: Wiener, zu uns.

Ja, wenn man eine Reise tut, dann kann man was erleben, das sagt schon der Volksmund, der ja bekanntlich ziemlich stumm geworden ist. Wenn man aber als Schriftsteller eine Reise tut, und sei sie noch so kurz, dann nimmt man immer eine ganze Reihe von interessanten Eindrücken mit, die man unbedingt aufschreiben muß.

So werde ich in der kommenden Zeit eben diese Eindrücke aufarbeiten und hier veröffentlichen. Ich könnte mir vorstellen, daß da die eine oder andere interessante und auch lustige Geschichte dabei herauskommt.

Viel Spaß!

gez. Przlcka


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Der erfolgreiche Buchautor Peter Wilhelm veröffentlicht hier Geschichten, Kurzgeschichten, Gedanken und Aufschreibenswertes.

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 15. März 2015 | Peter Wilhelm 15. März 2015

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