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Spitze Feder

Toast-Hawaii

Vor Äonen gab es in Hockenheim-Talhaus einen Musik-Club namens Clichy. Ob der Besitzer diesen Namen aus irgendeiner besonderen Affinität zu der gleichnamigen Gemeinde im Département Hauts-de-Seine gewählt hatte, ist mir entfallen. Erstens ist das, wie gesagt, elend lange her, und zweitens für den Lauf der heutigen Welt so was von unerheblich.
Allerdings führte das besagte Etablissement eine Speisekarte – zwar nicht sonderlich umfangreich, aber immerhin – und, um allmählich in medias res zu gehen, gab es auf dieser Speisekarte auch das Highlight kulinarischer Impertinenz, das Gaumen-Armageddon schlechthin: Toast-Hawaii.

Erfunden wurde der Toast Hawaii angeblich vom deutschen Schauspieler Carl Clemens Hahn, der unter dem Namen Clemens Wilmenrod als erster deutscher Fernsehkoch über die Nachkriegsbildschirme flimmerte. Aber Wilmenrord war ein Aufschneider und Selbstpräsentierer, der auch dieses Rezept vermutlich von seinem Kollegen Hans Karl Adam „übernommen“ hatte.

Toast Hawaii, jenes gruselige Arrangement aus zwei flachen, substanzlosen Weißbrot-Quadraten, zwischen denen die nachstehend aufgeführten Problem-Abfälle entsorgt wurden: eine Scheibe eines Formfleisch-Derivates (vulgo: Vorderschinken mit Nitrit-Pökelsalz), ebenfalls eine Scheibe JA-Analog-Chester-Schmelz-Scheibletten-Käse, und zu guter Letzt ein ringförmiges, faseriges, papp-süßes Etwas, das dieser sarkastische Melange vermutlich einen exotischen Touch verleihen sollte. Das Ganze – quasi als Gaumen-Showdown – garniert mit einer plastinierten Kirsche in einer, technisch gesehen, sehr ambitionierten Konsistenz, vermutlich ein Anflug von Ironie in diesem gastronomischen Affront.

Zumindest entsprach das Toast-Hawaii im Clichy in etwa dieser Beschreibung. Bekam man von der Speisekarte lobpreisend suggeriert, das Toast-Hawaii bestünde aus leckerem Toastbrot, saftigem Schinken, würzigem Käse und fruchtig frischem Ananas und biss hernach voll freudiger Erwartung in eben jenes ernährungsphysiologische Drama, kann man sich vorstellen, mit welchen Neurosen aus meiner Jugend ich mich noch heute herumplage, wenn mir bei der Lektüre meiner Tageszeitung, oder beim Konsum der Nachrichten, angesichts der schleichenden Fusion von Berichterstattung und Propaganda zwangsläufig der Begriff „Toast-Hawaii“ einfällt.

Ein Beispiel gefällig?

OK: nur mal angenommen, Samoa hätte ein Auge auf die Deutsche Braunkohle in der Nieder-Lausitz geworfen. Ja, ich ich weiß, niemand im 21. Jahrhundert, der noch alle Latten am Zaun hat, wäre derart bescheuert, diesen Schwefel-verseuchten Dreck als Energieträger…ausser vielleicht wir selbst…? Wie gesagt: ist ja nur ein Gedankenspiel. Also Malietoa Tanumafili II., seines Zeichens Häuptling von Samoa auf Lebenszeit, befiehlt seinem Geheimdienstchef auszuloten, wie man der Deutschen Braunkohle habhaft werden könnte. Dieser macht sich alsbald inkognito auf den Weg nach Cottbus, um aus desillusionierten Mitgliedern einer zornigen, aber erfolglosen NGO, Guerillas für die Befreiung der Braunkohle aus den Klauen von Vattenfall oder so ähnlich zu formen. Klappt dann auch ganz gut, nachdem Malietoa Tanumafili II sein Portemonnaie weit geöffnet und die Guerilleros mit Waffen zugeschissen hat. Nach und nach besetzen die Dschihadisten Malietoa Tanumafilis II. neben Cottbus die Metropolen Ströbitz, Kolkwitz und Lakoma. Aber dann wendet sich das Blatt. Spezialeinheiten der Bundeswehr erobern in einem zähen Häuserkampf zuerst die von den Terroristen gehaltenen Stützpunkte Ströbitz, Kolkwitz und Lakoma, um in einer finalen Entscheidungsschlacht schließlich Cottbus einzunehmen.

Ein Jubelschrei der Freude hallt durch die Republik: „Cottbus ist befreit“ titeln unisono alle Zeitungen. Menschen auf den Straßen fallen sich weinend in die Arme, der OB von Cottbus, Holger Kelch (CDU) betont im ARD-Brennpunkt seine Erleichterung über die Befreiung seiner Stadt aus der abscheulichen Gewalt den Terroristen.

Derweil, in der 15.751 km Luftlinie entfernten Hauptstadt Apia, titelt die samoanische Presse „Schock und Bestürzung: auch Cottbus ist gefallen“ und weiter „Trotz ihres heroischen Widertandes, mussten sich die patriotischen samoanischen Freunde der Bewegung der freien Niederlausitz der brutalen Übermacht und des unmenschlichen Flächenbombardements durch die Berliner Militärjunta geschlagen geben“.

Kling ziemlich abgedreht, oder? So eine Wenig nach John Cleese, gelle? Jetzt kommt das finale Gedankenspiel, damit dieser Plot überhaupt noch einen Sinn ergibt. Man nehme die Begriffe „Braunkohle“, „Erdöl“, „Niederlausitz“, „Syrien“, „den Geheimdienst von Samoa“, „die CIA“, „die Guerillas für die Befreiung der Braunkohle“, „die Syrische Befreiungsarmee“, „Cottbus“, „Aleppo“, „befreit“ und „gefallen“ und mische diese wild durcheinander. Was erhält man? Richtig: Toast-Hawaii

BIld: Von Rainer Z … – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9665330

Spitze Feder – Spitze Zunge

Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 3. Februar 2020 | Peter Grohmüller 3. Februar 2020

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