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Spitze Feder

Neubeginn vereinbart – nehmt Erdogan den Führerschein ab!

Erdogan Gmbh

Allmählich blicke ich nicht mehr durch bei den ganzen Begrifflichkeiten, die uns durch das Dickicht der Nachrichten führen und bei deren sinnvoller Einordung helfen sollen. Und irgendwie habe ich den Eindruck, dass allmählich alles zerbröselt. So, als würde sich Merkels Litfaßsäule Steffen Seibert bei der Bundespressekonferenz plötzlich an die versammelte Journaille wenden und verlautbaren: „tut uns ja schrecklich leid, aber das mit den 3,14159 bla, bla, bla, für π könnt ihr vergessen“.

Es gibt Dinge, die waren bisher ganz einfach: im Sommer ist es (meist) warm, und man trägt T-Shirts, Shorts und Flip-Flops. Im Winter kleidet man sich entsprechend anders. So kommt man, von gelegentlichen Wetterkapriolen abgesehen, mit den Jahreszeiten ganz gut zurecht.

Aber was die politischen Begrifflichkeiten betrifft? Kein Plan, Ende Gelände. Ich hechle nur noch hinterher. Da sich die meisten Schlagzeilen um „Konflikte“ drehen – auch so ein komischer Schwamm von einem Wort, teilen uns die Medien in würdiger Distanz mit, wer sich gerade mit wem den Schädel eindrischt. Aber mal im Ernst: blickt da noch jemand durch? Wir haben doch ein ganzes Sammelsurium an Vokabeln, die uns eigentlich helfen sollten, das Ganze in Gut und Böse zu unterscheiden. Aber irgendwie krieg ich die Enden nicht mehr zusammen.

Ich erinnere mich beispielsweise noch ganz gut an die Mudschahedin und deren heroischen Anführer Gulbuddin Hekmatyār, so eine Art Old Shatterhand mit Turban. Die Jungs waren in den Achtzigern Karl-May-mäßige afghanische Freiheitskämpfer. In den westlichen Medien bejubelt, fachkundig beraten und bestens ausgerüstet durch die CIA, kämpften die Mudschahedin für ihre Freiheit gegen die russischen Besatzer auf ihrem Territorium; deshalb auch der Begriff „Freiheitskämpfer“.

Als der Iwan dann vertrieben war, die Mudschahedin sich ihre Freiheit jedoch lieber mit Krummschwert und Scharia, statt mit McDonalds und Goldman-Sachs vorstellten, und als sie begannen, peu á peu gegen die CIA aufzumucken, nannte man sie plötzlich zuerst Taliban (was übersetzt soviel wie Schüler oder Student bedeutet), und danach schließlich Terroristen; das ist erstens griffiger und zweitens liest es sich besser. Obwohl sie im Grunde genommen ja nichts anderes taten, als das, was sie die ganze Zeit getan hatten, nur eben nicht mehr unter der Regie westlicher Dienste.

Der Mudschahedin als solcher macht seit Jahrhunderten quasi das Gleiche: er kniet fünfmal am Tag im Staub gen Mekka, schneidet seinen Sprösslingen die Vorhaut ab, seinen Feinden und Schafen die Kehle durch, hüllt seine Frau in schwarze Lappen, oder, bis zur Hüfte eingegraben, in faustgroße Steine, falls sie sich einem anderen Mudschahedin zuwenden sollte.

Ihr versteht, was ich meine? Der Mudschahedin als solcher macht seit Jahrhunderten quasi das Gleiche: er kniet fünfmal am Tag im Staub gen Mekka, schneidet seinen Sprösslingen die Vorhaut ab, seinen Feinden und Schafen die Kehle durch, hüllt seine Frau in schwarze Lappen, oder, bis zur Hüfte eingegraben, in faustgroße Steine, falls sie sich einem anderen Mudschahedin zuwenden sollte. Dass der Kollege mit dem Turban, dem Zottelbart und den seltsamen Pyjama-Hosen nun Freiheitskämpfer oder Terrorist ist, hängt also lediglich von der Richtung ab, in die er seine Wumme abfeuert? Oder von dem Modell (AK-47 Kalaschnikow oder M-16 Eugene Stoner, ArmaLite Inc.), oder wie?

Mag durchaus sein, dass die nun folgenden Zeilen etwas neben dem eigentlichen Thema liegen: aber manche Koinzidenzen bergen schon Überraschungen, obwohl sie vermeintlich nichts miteinander zu tun haben. So wie zwei aus heutiger Sicht befremdlich anmutende Ereignisse anno 1977, als der Freiheitskämpfer Gulbuddin Hekmatyār die demokratisch gewählte afghanische Regierung unter Nur Muhammad Taraki bekämpfte und mit seinen Kollegen auf Motorrädern vor den Universitäten unverschleierten Studentinnen Säure ins Gesicht geschüttet haben soll, um gegen die Bildungspolitik zu protestieren; in jenem Jahr 1977 wurde in der Bundesrepublik ein Gesetzt abgeschafft, demzufolge Frauen hierzulande ihren Ehegatten um Erlaubnis fragen mussten, wenn sie arbeiten gehen wollten. Das eine hat mit dem anderen definitiv nichts zu tun, ausser dass beides keine Beachtung (mehr) findet, aus welchem Grund auch immer.

Und so wirbeln Ereignisse und Begriffe durch die Medien, deren Einordnung sich dem gesunden Menschenverstand immer mehr entziehen. Um sich zu vergegenwärtigen, wie skurril Realpolitik sein kann, muss man sich lediglich die aktuellen Leitartikel antun, oder wahlweise auf der Zunge zergehen lassen:

Russland, also Zar Wladimir Wladimirowitsch Putin, und die Türkei, also Sultan Recep Tayyip Erdoğan vereinbaren einen Neubeginn. Steht heute in der Zeitung. War das Alte nichts mehr? Und wenn ja, weshalb nicht? Was war das Alte gleich nochmal? Keine Antwort. Aber Putin und Erdoğan vereinbaren einen Neubeginn. Um es anders, ich meine im Kontext der Begrifflichkeiten unserer westlichen alternativlosen Leitmedien auszudrücken: zwei Nationen, oder, besser ausgedrückt, zwei Nationalisten (das Volk wird nur dann gefragt, wenn man sich dessen uneingeschränkter Zustimmung sicher sein kann), also zwei autokratisch regierende Präsidenten, die sich durch eine höchst befremdliche Auslegung der Begriffe wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auszeichnen, die sich bisher verbal spinnefeind waren und sich säbelrasselnd mit gegenseitigen Sanktionen beglückt hatten, gehen nun demonstrativ gravitätisch auf einander zu und reichen sich in mondänem Ambiente die blutige Hand.

Gernot Erler, seines Zeichens Sozialdemokrat und im Kabinett der Bundesregierung „Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft“, findet das gut, also dass sich Erdoğan und Putin treffen. Ähm, hallo?

Nur damit ich das richtig verstehe, wir reden von DEM Recep Tayyip Erdoğan und von DEM Wladimir Wladimirowitsch Putin? Und Herr Erler findet das gut, dass sich beide treffen, und ist gleichzeitig Mitglied der SPD und der Bundesregierung? Also quasi die offizielle Stimme Merkels?

Seit Jahren hämmert es uns aus allen medialen Geschützen ins Ohr, dass Putin die Krim annektiert habe, dass er politische Gegner grausam unterdrücke oder liquidieren lasse, dass er die Medien gleichschalte, dass er „prorussische“ Separatisten in der Ukraine und den syrischen „Diktator“ Baschar Hafiz al-Assad unterstütze, der mit unbeschreiblicher Grausamkeit sein Volk abschlachte… die Reihe ließe sich endlos fortsetzen.

Und sein Gast Erdoğan im Prunkschloss zu St. Petersburg? Von ihm lautet doch die offizielle Lesart, er sei ein Islamist, ein rücksichtsloser Autokrat, der zwar, wie Putin, über demokratische Wahlen an die Macht gekommen sei, aber nun die Türkei und mithin auch die beliebtesten Strände der Deutschen in Richtung Mittelalter manövriere. Ach ja, und dann die Kurden. Deren Dörfer ballere er schließlich seit Jahren nicht ins Mittelalter, sondern gleich in die Steinzeit, obwohl die Türkei ja ein wichtiges Mitglied der NATO sei, und Deutschland die Peschmerga, also kurdischen Truppen, mit G-36 versorgt, um die Vollidioten des islamischen Staates zu bekämpfen und, quasi in einem Abwasch, Baschar Hafiz al-Assad zu stürzen.

Ja was denn nun? Kann mir bitte mal jemand erklären, wie ich das unter einen Hut kriegen soll? Wurde jetzt die Krim von Russland annektiert um Sewastopol zu schützen? Oder haben sich 95 % der – russischstämmigen – Einwohner in einer demokratischen Wahl für einen Anschluss der Krim an Russland entschieden? Und was ist mit der Ukraine? Lässt Putin nun eine verdeckte Arme gegen die demokratisch gewählte Regierung in Kiew von der Leine, um das Land zu destabilisieren? Das machen doch eigentlich nur die USA, wenn es irgendwo auf dem Planeten Öl, Kohle oder sonstige Rohstoffe zu holen gibt. Oder versuchen prorussische Separatisten das Land von einem faschistischen Marionetten-Regime des Westens zu befreien, dass durch eine Revolte auf dem Maidan-Platz an die Macht gekommen war, und von der man sich erzählt, die CIA betrachte die 5.000.000 $, die sie angeblich in die Unruhen investiert habe, als gut angelegtes Geld?

Ich mag nicht mehr. Ist mir alles zu kompliziert. Vielleicht sollte man einfach Erdoğan, Putin und Erler den Führerschein abnehmen.


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Spitze Feder – Spitze Zunge

Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 3. Februar 2020 | Peter Grohmüller 3. Februar 2020

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