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Spitze Feder

Im Schwimmbad

Mandelbluete

OK, jetzt kommt ein Outing. ich gebe es zu: ich gehe gerne ins Schwimmbad und nicht an den Baggersee, was ökologisch und politisch wesentlich korrekter wäre. Wenn schon ganze Landschaften ausgebaggert werden, um Kies zu gewinnen und damit in Verbindung mit Sand, Zement und weiteren bautechnischen Ingredienzien andere Landschaften zuzubetonieren, und wenn sich diese ausgebaggerten Löcher dann zwangsläufig mit Regen- und/oder Grundwasser füllen, ist es doch barer Nonsens eine weitere Grube auszuheben, diese auszubetonieren – womöglich noch mit dem eben erwähnten Kies, sie zu fliesen, zu fluten und dann das Wasser mit einem fragwürdigen Chlor-Säure-Cocktail gegen den kontaminierenden Eintrag des Homo-Sapiens zu wappnen; von der kostenintensiven und CO2-emittierenden Temperierung des Wassers via Heizung mit fossilen Brennstoffen mal ganz abgesehen.

An einem See kann man, sofern nicht eingezäunt und von humorlosen Staatsdienern rundum observiert, neben dem Schwimmen in unbehandeltem Wasser auch noch anderweitigen Aktivitäten frönen, z. B. grillen, seine Klampfe mitnehmen und zu lauer Abendstunde am Lagerfeuer Lieder aus der Kulturrevolution zum Besten geben; man kann dort mit seinem/seiner Partner/in sogar unter dem Himmelszelt übernachten, oder auch……….ach ja, pure Romantik – aber auch manche, der Erholung höchst abträgliche Unwägbarkeit. Deshalb ziehe ich das Schwimmbad vor.

Im Schwimmbad regelt die Schwimmbadnutzungsordung explizit Aufenthalt und zulässige Aktivitäten und stellt sicher, dass der ordnungsliebende Badegast nicht durch Spontaneität vor den Kopf gestoßen wird. Das Areal ist in verschiedene sub-Areale unterteilt, deren Nutzung sich aus der unmissverständlichen Beschilderung ergibt: Eingangsbereich mit den Kassen, Schließfächer zur Wertsachenaufbewahrung, die Umkleideräume, der Duschkabinenbereich zur gebotenen Ganzkörperreinigung vor dem Benutzen der Schwimmbecken, der Toilettenbereich, alle jeweils in „männlich“ und „weiblich“ getrennt, die Liegewiese, die Spielwiese, das Nichtschwimmerbecken, das Schwimmerbecken, das Sprungbecken, die Wasserspiellandschaft, usw.

Im Schwimmbad regelt die Schwimmbadnutzungsordung explizit Aufenthalt und zulässige Aktivitäten und stellt sicher, dass der ordnungsliebende Badegast nicht durch Spontaneität vor den Kopf gestoßen wird

Man kann also davon ausgehen, dass man gemäß der Schwimmbadnutzungsordung im Schwimmerbecken gemächlich seine Bahnen ziehen kann, ohne die Gefahr, von Sprungbrettproleten erschlagen zu werden, oder unbotmäßig schreienden Rotznasen mit aufblasbaren Schwimmärmeln unter heftigem Protest der Elterntiere ausweichen zu müssen.

Die Schwimmbadnutzungsordung stellt des weiteren auf das Komfortabelste sicher, dass man auf der Liegewiese nicht von ballspielenden Gören oder lautstark Hip-Hop hörenden, von Testosteron-strotzenden Jungbullen belästigt wird, während man sich leichter Literaturkost zuwendet, karzinogener Ganzkörperbestrahlung frönt, oder sich am inspirierenden Anblick textiler Andeutungen erfreut.

Somit gestattet das Schwimmbad als Abbild der gesamten Gesellschaft soziologische Beobachtungen in fest zugewiesenen Arealen, die man jederzeit betreten und nach absolviertem wissenschaftlichem Arbeitspensum wieder verlassen kann. Die Auswahl an unterschiedlichsten Typen der Homo Piscina ist hierbei phänomenal:

Da gibt es beispielsweise die Hardcore-Schwimmer, jene Zeitgenossen, die rigoros getaktet Kilometer um Kilometer gegen die Stoppuhr abspulen. Die Fortgeschrittenen jener Gattung zwängen sich vor ihrer sportlichen Kasteiung in martialisch anmutende Neopren-Ganzkörper-Zweithäute. Dazu tragen sie deutlich sichtbar, weil übergroß, multifunktionelle Armbanduhren eidgenössischer Provenienz, wasserdicht bis zu einer Tauchtiefe von mehreren tausend Kilometern.

Zur unverzichtbaren Besuchergruppe gehört selbstredend die Redaktion der lokalen Nachrichtenbörse, leicht erkennbar an pittoresken Bademützen mit reizendem Blumendekor, deren Mitglieder angeregt parlierend, jedoch in geradezu meditativer Entschleunigung mit höflichem Abstand zueinander durch das Wasser zu schweben scheinen, und dabei mitunter das gesamte Schwimmbecken für weitere Badegäste zur Area Clausa definieren.

Oder die den Beckenrand okkupierenden Darsteller der Reichen und Schönen, die in betont lässiger, jedoch orthopädisch geradezu grotesker Pose ihre güldenen Preziosen, ihre sündhaft teuren Sonnenbrillen, ihre Tätowierungen oder alles in Kombination zur Schau stellen und trotzt brütender Hitze stundenlang in sengender Sonne ausharren, um tunlichst zu vermeiden, dass am Ende noch einer der gemeinen Badegäste den begehrten Platz einnehmen könnte.

Den kulturellen Gegensatz zu den eben erwähnten Mitgliedern des provinziellen Meta-Showbiz findet man auf der Assi-Wiese, der sommerlichen Heimstatt der Unterschicht. Man möge mir diese politisch höchst unkorrekte Wortschöpfung verzeihen. Aber die Korrelation zwischen Intellekt und jenem Areal kann nach Ansicht des Verfassers kürzer und treffender nicht abgebildet werden.

Den kulturellen Gegensatz zu den eben erwähnten Mitgliedern des provinziellen Meta-Showbiz findet man auf der Assi-Wiese

Die Assi-Wiese ist quasi das Äquivalent zur Fankurve im Schwimmbad. Man findet dort einen Typus vor, der sich durch geschmackvoll arrangierte KIK Casual-Wear wohltuend aus der Gucci-Einheitsmasse hervorhebt. Zumeist gekleidet in Fan-Shirts der angesagten Fussball-Bundesligisten, gerne in geschmackvoll textilem Dialog mit Tennissocken, getragen zu cremefarbenen Kunstledersandalen Modell „Helmut am Wolfgangsee“, trifft man ihn stets in größeren Ansammlungen, meist bestehend aus Individuen mehrerer Generationen. Schon kurz nach Eröffnung der Badezeit strömt die Gruppe zu ihrem über Dekaden angestammten Claim, ausgerüstet mit sämtlichen Utensilien, Nahrungsmitteln und Getränken, die für einen 10-stündigen Aufenthalt ohne Kollateralkosten unabdingbar sind.

Für all die anderen Badegäste, deren Budget außerordentliche Investitionen gestattet, gibt es noch das gastronomische Highlight jeder nennenswerten Einrichtung namens Schwimmbad: den Kiosk, im Rheinland auch als „dat Büdchen“ bezeichnet. Seit Äonen beziehen die Badegäste an dieser unbeschreiblichen Quelle äusserst spezifischer Gastlichkeit Substanzen, die, in Ermangelung treffenden Vokabulars, als Speisen und Getränke deklariert und zu völlig überzogenen Preisen gehandelt werden.

So eine irisierende farbige Masse, die – neben fest, flüssig und gasförmig – einen vierten Aggregatszustand definiert: das Meta-Sorbet (für die Physiker unter den Lesern dieses Beitrags sei angemerkt, dass der Autor sowohl Plasma als auch Bose-Einstein-Kondensat an dieser Stelle ob ihrer Exotik und ihrer höchstens marginalen Relevanz bewusst ausklammert). Dieses Meta- oder auch Quasi-Sorbet wird unter dem Markennamen „Slush“ feilgeboten und entsteht, wenn eine Mischung aus Wasser, Zucker, Farb- und künstlichen Aromastoffen unter 0° C gekühlt, dabei ständig gerührt und somit verhindert wird, dass dieses fragwürdige Etwas zur Gänze erstarrt.

Nach den Genfer Konventionen und dem Haager Landrecht dürfen solche Mittel nicht an Kriegsgefangenen verabreicht werden. An besagtem Kiosk im Schwimmbad wird die Substanz jedoch als hippes Erfrischungsetwas zum Vorzugspreis von 3,00 € je 0,5 Liter (vorwiegend) an Kinder unter 10 Jahren verkauft und somit Jahrzehnte währende humanistische Errungenschaften der Völkergemeinschaft en passant ausser Kraft gesetzt.

Auf Platz eins der ewigen Must-Have-Liste kulinarischer Begehrlichkeiten steht jedoch unangefochten der generationenübergreifende Klassiker – Pommes. Korrekt heißt diese Delikatesse natürlich Pommes Frites, aber der Insider hinter dem Tresen versteht die szenetypische Verkürzung und kredenzt den hungrigen Badegästen – zumeist quengelnde Gören – mit gekonntem Schwung eine winzige Menge zu Stäben geschnitzter Kartoffeln, gesotten in einem befremdlich duftenden Öl unbekannten Alters, garniert mit dickflüssigen bis gallertartigen Cremes (vulgo Ketchup oder Majo), in einer dreieckigen Tüte nebst Holzgäbelchen und Papierserviette für schlappe 3,50 €.

Mutti, passen gekleidet im asymmetrischen Kim-Basinger-Swimming-Suit nebst seidenem Hüft-Tuch, zahlt und gönnt sich selbst einen Becher einer aufgeschäumten Melange aus Magermilchderivaten, Wasser, Zucker, naturidentischen Aromastoffen und einem entfernt an Instantkaffee erinnernden Pulver für 2,70 €, in der felsenfesten Überzeugung, es handle sich um Latte Macchiato.

Aber ebenso wie sich die einfache Fischfrikadelle zur kulinarischen Offenbarung entfaltet, sofern man sie am und mit Blick auf das Meer genießt, gerät die überteuerte, chemisch auf Hochleistung gepimpte Plörre in der unvergleichlich anregenden Atmosphäre des Schwimmbades zum einzigartigen Wohlgenuss.

Und über diesem Refugium des Friedens und der sommerlichen Lebensfreude wacht mit ruhiger Hand, bedächtig und von unerschütterlicher Souveränität der Bademeister. Über die Jahre gestählt von vielen kleinen Dramen und großen Glücksmomenten seiner Klientel, ist er die Institution für Ruhe und Ordnung schlechthin. Er kümmert sich um die kleinen Wehwehchen, um verlorene Kinder und Portemonnaies, überwacht die Konsistenz und die Güte des kühlen Nass´, kurzum: wer immer Fragen, Anregungen oder Sorgen beim Badevergnügen hat, wendet sich an ihn. Er ist der sprichwörtliche Fels in der Brandung, respektiert und geschätzt, stets flankiert von freiwilligen jungen durchtrainierten Helfern der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft, kurz DLGR, um die Mortalitätsrate des Freibadvergnügens möglichst gegen Null zu halten.

Diesem Mikrokosmos beiwohnen oder an ihm teilhaben zu können, ist unschlagbar preiswert im wahrsten Sinnen des Wortes. Für gerade mal 55,00 € kann man eine Saisonkarte erwerben, gültig für 100 Tage. Sie ist umgehend mit einem Passbild zu versehen und nicht übertragbar. Mit ihr kann man jederzeit – innerhalb der durch die Schwimmbadnutzungsordung geregelten Öffnungszeiten (am Beispiel des von mir präferierten Freibades in der Römerstadt Ladenburg von 10:00 Uhr bis 20:00 Uhr) – das Etablissement betreten und sämtliche Areale nutzen, sofern diese keiner eingangs erwähnten geschlechtsspezifischer Einschränkungen unterliegen. Falls man über eine adäquate Menge an Freizeit verfügt, von meteorologischen Widrigkeiten verschont bleibt und es schafft, 100 Tage am Stück ins Schwimmbad zu gehen, kostet ein Tag somit lediglich 55 Cent. Ich meine, dass dies den ganzen Aufwand – vom Kiesbaggern bis zur Friteuse – mehr als rechtfertigt.


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Spitze Feder – Spitze Zunge

Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 10 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 3. Februar 2020 | Peter Grohmüller 3. Februar 2020

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