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Spitze Feder

Gedanken zum Wettbewerb

Einstein

Es gibt in den medial verbreiteten Emissionen des Homo Politikus ein Reservoir an Vokabeln, die in jedem Statement als absolutes Muss, quasi als Beweis des Beherrschens eines fachspezifischen Idioms, gesetzt werden, ohne zwingen einen Sinn oder gar innere Logik besitzen zu müssen. Der Favorit aus dem nebelumwobenen Sprachschatz der mächtigsten Frau der Welt aus dem philologischen Epizentrum Mecklenburg Vorpommern lautet: Reformen. Diese fordert sie von jedem, der nicht schnell genug den Hörer auflegt, oder eine geringere pekuniäre Potenz aufweist als der Exportweltmeister. Aber zum Thema Reformen gibt es bereits eine ausführliche und hoffentlich erschöpfende Abhandlung im Dreibeinblog. Eine erneute Vertiefung an dieser Stelle bedeutete Redundanz. Geschenkt!

Glücklicherweise umfasst das eingangs genannte Repertoire nämlich noch andere, mysteriöse Worte in den Ausführungen des politischen Personals, die der passionierte Semantiker mit Hochgenuss auf deren Sinnhaftigkeit überprüfen kann. Eines davon ist zweifelsohne das Wort Wettbewerb. Ein Phänomen, quasi ein Universalwort. Vielseitig verwendbar, wie das legendäre Victorinox Taschenmesser aus der eidgenössischen Steueroase. Sein geradezu inflationärer Einsatz impliziert ein Höchstmaß an Relevanz in nahezu allen Lebenslagen. Kaum ein Ausdruck geht den Gästen der einschlägigen Polit-Talkrunden von Johannes B. Kerner über Frank Plasberg bis Anne Will leichter, eleganter und von den Beteiligten niemals wirklich hinterfragt über die Lippen, als eben jene Multifunktionsvokabel.

Der allwissende Duden definiert den Begriff als „etwas, woran mehrere Personen im Rahmen einer ganz bestimmten Aufgabenstellung, Zielsetzung in dem Bestreben teilnehmen, die beste Leistung zu erzielen, Sieger zu werden“. Zum Beispiel das sportliche Aufeinandertreffen mindestens zweier Akteure, die darin ihre Leistungsfähigkeit in der jeweiligen Disziplin vergleichen; mit dem Ergebnis, dass „der Bessere gewinnen möge“, vom 1. FC Bayern München einmal abgesehen.

Aber diese Bedeutung kann Angela Merkel unmöglich meinen, wenn sie von Wettbewerb spricht. Dazu wirkt ihre zu Schau gestellte Pose übertriebenen Jubelns und ihre grottenfalsch geballte Faust auf der Ehrentribüne nun wirklich zu aufgesetzt. Das nimmt ihr keiner ab. Da sie über ihr Amt einen exzellenten Draht zur den Leistungsträgern in der Wirtschaft pflegt, pflegen muss, um die Rahmenbedingungen für die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland stetig zu verbessern, dürfte sie, wenn immer ihr das Wort Wettbewerb über die Lippen kommt, eher die zweite Definition aus dem Duden im Sinn haben, die da lautet: Kampf um möglichst gute Marktanteile, hohe Profite, um den Konkurrenten zu überbieten, auszuschalten; oder auch schlicht und ergreifend Konkurrenz.

Und die belebt schließlich das Geschäft. Das hat sie von ihrem geistigen Übervater aus Oggersheim in einem christlich-demokratischen Crashkurs bei Saumagen und Herxheimer Riesling-Schorle eingeimpft bekommen, kurz nachdem sie ihren Job als hervorgehobene FDJ-Funktionärin für Agitation und Propaganda geschmissen und rüber gemacht hatte. Jegliche Schlussfolgerungen über irgendwie geartete Kontakte Merkels in dieser Funktion zum Ministerium für Staatssicherheit der DDR weist der CDU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kauder putativ und auf das Schärfste zurück.

Da Konkurrenz jedoch aus dem Wortschatz des Klassenfeindes stammt, zumindest aus Sichtweise ihrer damaligen Sozialisation, zieht sie rein gefühlsmäßig lieber das Wort Wettbewerb vor. Es klingt irgendwie einfach schöner, sanfter, fairer. Und wann immer ihre externen Denker um Steffen Seibert oder ihr Gefühl signalisieren, dass sie bei dieser Frage, in jenem Zusammenhang nicht von Reformen sprechen sollte, flötet sie von notwendigen Anstrengungen und rundet ihr Gesagtes mit Wettbewerb ab, wie der Koch das Entrecôte mit einer Prise Pfeffer aus der Mühle, bevor der Kellner es dem Gast kredenzt.

Und wenn sie dann richtig in Fahrt ist, sich quasi in Rage gesprochen hat, erklärt sie der verblüfften Zuhörerschaft, welche Wunder der Wettbewerb zu bewerkstelligen in der Lage ist, und dass ohne einen gesunden Wettbewerb die Wirtschaft und die Märkte und die Arbeitsplätze und Griechenland und die Krankenkassen und die Terroristen – nein, pardon, die nicht – aber die Banken und überhaupt, dass sie alles in ihrer Macht stehende unternehmen wird, um ihre Partner davon zu überzeugen, dass ein gesunder Wettbewerb bla, bla, bla, bis die anwesenden Journalisten ihre Mikrofone ausschalten, wenn sie nicht ohnehin längst eingeschlafen sind.

Vermutlich will sie damit ausdrücken, dass Wettbewerb für Innovationen sorgt, dass den Verbrauchern durch mehr Wettbewerb immer bessere Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung stehen, dass Wettbewerb für Transparenz sorgt und dass die Anbieter sich gezwungen sehen, ihre Produkte zu fairen Preisen anbieten zu müssen, um auf dem Markt bestehen zu können.

Das ist zwar immer noch blockhohles Politikersprech aber zumindest etwas konkreter, so dass man das eventuell Gemeinte anhand einiger Beispiele überprüfen kann. Nehmen wir mal die Ernährung, ein essentieller Bestandteil des täglichen Lebens. Die angebotene Palette an Nahrungsmitteln in der Bundesrepublik ist nahezu unerschöpflich. Saisonunabhängig bieten die Händler von der Gemüse-, Fleisch-, Käse- und Fischtheke für die Verbraucher der Old-School-Fraktion, bis zum mikrowellenaffinen Drei-Gänge-Fertigmenü für die Anhänger der Convenience Food alles immer, und immer billiger an. Dazu alle erdenklichen Diätprodukte für die Jünger der veganen, Laktose- und/oder Gluten-freien Religionen. Bei Belieben auch halal oder koscher. Hier wirken sich die Segnungen des Wettbewerbs offensichtlich aus, oder? Im Prinzip schon, wenn man den Umstand aus seinen Überlegungen zum Prinzip Wettbewerb ausklammert., dass die vier großen Discounter REWE, Lidl, EDEKA und ALDI rund 80% des Lebensmittelmarktes unter sich aufgeteilt haben. OK, das war im Prinzip kein Volltreffer.

Probieren wir es beim nächsten Thema: Energie im Allgemeinen und Strom im Speziellen. Auch hier hat der geneigte Verbraucher eine beinahe unerschöpfliche Auswahl an Anbietern. So kann der Friesenhemd tragende Hallig-Bewohner problemlos von den Stadtwerken Iserlohn seinen Strom beziehen, oder der krachlederne Holzschuh-Schnitzer aus Niederbayern von den Kommunalwerken in Stralsund (keine Ahnung, ob es die gibt – aber es geht ums Prinzip). Bei näherem Hinschauen bietet sich allerdings das gleiche Bild. Wie bei den Lebensmitteln, beherrschen auch bei der Energiegewinnung gerade mal vier Anbieter (EON, EnBW, VATTENFALL und RWE) 80% des Marktes. Ergo ist auch dieser Versuch, dem Geheimnis Wettbewerb, oder zumindest das, was die Kanzlerin darunter versteht, auf die Spur zu kommen, in einer Sackgasse gelandet.

OK, das war also auch nichts. Aber irgend etwas muss es mit den Segen des Wettbewerbs doch auf sich haben, irgendwo müssen diese doch spürbar sein. Vielleicht beim Telefonieren? Da gibt es doch jede Menge Anbieter. Man findet heutzutage in jeder beliebigen Einkaufsmeile einen Telefonladen neben dem anderen, in denen man zwischen Kaufhaus und Tiefgarage mal eben einen Handyvertrag abschließen und das High-End-Smartphone für 1,00 € gleich mitnehmen kann. Für schlappe 9,99 € pro Monat kriegt man dazu eine Tripple-Flatrate. Früher gab es nur die gute alte Bundepost, eine richtige Behörde. Man ging nicht wie heute in ein Schreibwarengeschäft, wenn man einen Brief aufgeben wollte, man ging zum Postamt. Dort gab es Beamte, wie die Silbe Amt impliziert, keine Angestellten, keine Kundenorientierung, sondern ausführende Staatsdiener. Der Deutschen Bundepost war auch das sogenannte Fernmeldewesen unterstellt, auf deutsch: das Telefonieren. Man musste dafür bezahlen, was eben in der Gebührenordnung stand. Da kostete ein 5-Minuten-Gespräch von Flensburg nach Passau gleich mal schlanke 5 Mark, und man konnte nicht einfach zu einem anderen Anbieter wechseln. Heutzutage braucht man unter Umständen Stunden, um auf Vergleichsportalen den günstigsten Handy-Vertrag zu finden. Dank Internet-Flat sind solche Recherchen allerdings eingepreist. Kurzum: das Telefonieren ist in der Tat heutzutage deutlich preiswerter als in Zeiten von Wolfgang Bötsch, dem letzten Bundesminister für Post und Telekommunikation.

Jener Wolfgang Bötsch hat die verschnarchte Behörde abgewickelt, und daraus entstanden die Deutsche Post AG, die Post Bank und die Deutsche Telekom AG, drei moderne, börsennotierte und hochprofitable Dienstleister. Damit die Anleger jedoch Interesse an den Beiden zeigten und ihr Geld dort investierten, mussten diese natürlich erst mal verschlankt werden, sprich: der riesige Personalbestand reduziert und mithin Leute entlassen werden. Da man diese Ehemaligen nicht ihrem Schicksal oder gar dem Hungertod anheimstellen konnte, wurde natürlich der Steuerzahler kräftig zu Kasse gebeten, um Umschulungen, Weiterbildungen, Frühpensionierungen der Beamten und manch andere Kuriosität zu finanzieren. Uns allen, Dir und mir wurde und wird also die Kohle, die wir durch billigeres Telefonieren einsparen, „hinten rum“ mehrfach wieder aus der Tasche gezogen – über höhere Mehrwertsteuer, höhere Beiträge in die Sozialversicherung, das übliche alternativlose Galama eben. Nur, dass man diese Kosten nun nicht mehr auf jedes einzelne Telefonat umrechnen kann. Das war, je nach Sichtweise, ziemlich hinterfotzig, oder eben saumäßig clever – das zeichnet den Wettbewerb aus. Es ist müßig anzumerken, dass es im Deutschen Telefonmarkt zwar zig Anbieter gibt, aber kann man deshalb von Wettbewerb sprechen? Bei genauem Hinsehen, sind dies nämlich zumeist Reseller, sprich: Wiederverkäufer, die bei den drei großen Konzernen Telekom, O2 und Vodafone Kontingente erwerben und diese dann mit Aufschlag an die Endverbraucher weitergeben. Also wieder nix.

Ja Himmel, Herrgott, Sakrament nochmal. Kann mir mal einer sagen, was es denn bitteschön mit dem Wettbewerb nun auf sich hat? Oder besser noch, was das Ganze eigentlich soll? Ich fürchte, man könnte einen großen Teil seines Lebend damit verbringen, krampfhaft weiter zu suchen, ohne wirklich fündig zu werden. Am besten man überlässt das Ganze der Kryptozoologie. Schließlich hat diese exotisch anmutende Wissenschaft schon so manches Fabelwesen aus Erzählungen irgendwelcher Ureinwohner als real existierend identifiziert: z. B. die Kurzhalsgiraffe Okapi.

Ich halte mich bei den dümmlichen Diskussionen um mehr Wettbewerb gerne an Albert Einstein. Der hasste zum Beispiel Schach. Er sah keinen Sinn darin, sich stundenlang mit aller Geisteskraft darauf zu konzentrieren, jemanden zu „schlagen“. Er spielte viel lieber Violine, mit einem Partner am Klavier. Vielleicht ist es das: Zusammenhalt statt Wettbewerb. Ein interessanter Gedanke, nicht wahr?

Ach ja, und wenn eine/r der Leser/innen eine gute Idee hat, was die weltmächtigste Bundesraute aus Meck-Pomm mit ihrem (zweit-)Lieblingswort Wettbewerb eigentlich auszudrücken versucht, freue ich mich über jeden Kommentar. Mich interessiert das nämlich wirklich, bei allem gebotenen Sarkasmus.


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Spitze Feder – Spitze Zunge

Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 11 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 3. Februar 2020 | Peter Grohmüller 3. Februar 2020

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