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Spitze Feder

Convenience

Convenience kommt aus dem Angelsächsischen und bedeutet Bequemlichkeit. Man kennt die Vokabel im Zusammenhang mit Convenience Food. Fertig Gekochtes, zum Aufreißen für die Mikrowelle und/oder den Backofen, dargeboten in praktischen Kunststoff-Formschalen, die über geprägte Trennstege, den Hauptanteil des Gerichts von den verschiedenen Beilagen räumlich separieren. Somit verleiht die etwas exaltiert klingende Formulierung „Dialog vom Edelfisch an Wildreis“, die man eher aus Häusern der gehobenen Gastronomie kennt, selbst der heimische Küche ein wenig Noblesse.

Überhaupt, die heimische Küche: früher ein Ort der Zusammenkunft, der Sättigung versprach, der die Familie um einen massiven Holztisch zusammenbrachte, in dem es nach Rauch und Schweineschmalz duftete; ein Raum, dessen Zweck sich über einen, mit Holz und/oder Kohle beheizten, kapitalen Herd definierte, auf dem es brutzelte und blubberte.

Die Küche des 21. Jahrhunderts hingegen ist ein komplexes Netzwerk, ein High-Tech-Kosmos aus verlinkten Maschinen, gesteuert via Tablet oder Smartphone, zu deren wichtigsten Features, neben der unverzichtbaren Statuswirkung, eine möglichst hohe Energie-Effizienz zählt, unabhängig davon, dass der tatsächlicher Einsatz jener Geräte eher nebensächlicher Natur ist. Denn die Möglichkeit in diesem sündhaft teuren State-Of-The-Art-Refugium zu kochen, mag zwar gegeben sein, gilt jedoch eher als Surplus, denn der Besitzer hat bereits bei der Planung mittels 3D-Virtual-Reality-Software die wichtigsten QR-Codes aller Lieferservices von Pizza, Sushi & Co in die seidenmatte Edelstahl-Oberfläche per Lasergravur einarbeiten lassen.

Wem das skurril erscheint, der möge mir diese lange Einleitung nachsehen, denn von Convenience Food geht, formal betrachtet, noch keine Gefahr für die Gesellschaft aus, ganz im Gegenteil zu Convenience Opinion.

In Fachkreisen der Historiker á la Guido Knopp, also jenen Vertretern der erzählenden Kunst, die eine politische Herangehensweise an das Geschehene für sich reklamieren, wird gerne die sympathische Legende kolportiert, Meinungen seien in früheren Zeiten durch dialektisches Abwägen von Information zu einem gegebenen Thema gebildet worden. Auf deutsch: früher machten sich die Leute noch einen Kopp über das, was um sie herum so ablief. Heute, in Zeiten des Internets, würden Informationen hingegen unreflektiert übernommen und Meinungen aus Versatzstücken zahlloser, zuweilen auch fragwürdiger Quellen zusammengeklaubt, bis das gewünschte Ergebnis stehe.

Man muss dem ZDF-Großhistoriker Knopp, der sich seit gefühlten einhundert Jahren aus seinem öffentlich-rechtlich alimentierten Elfenbeinturm heraus an Adolf Hitler abarbeitet, verzeihen, dass ihm dadurch entgeht, wie sich die Convenience Opinion gleich einem roten Faden durch die Geschichte der Menschheit zieht und zielsicher von einer Barbarei in die nächste geführt hat.

Seit der nackte Affe von den Bäumen herabstieg und sich über den Rest der Tiere erhob, gab es immer Zeitgenossen, die sich an die Spitze ihrer Horde stellten und den Untergebenen das Denken ersparten. Alleine die drei monotheistischen Weltreligionen sedieren die Weltbevölkerung seit Jahrhunderten mit bequemen Jenseitsphantasien und einem allwissenden und allmächtigen Gott, in dessen Namen seine Anhänger noch heute, ohne Sinn, ohne Verstand, aber in unerschütterlichem Vertrauen auf eine bequeme, alles rechtfertigende Botschaft, mordend und brandschatzend umherziehen.

Der heißeste Kandidat für eine sich abzeichnende Katastrophe ist zweifelsohne die Türkei mit ihrem charismatischen Führer Recep Tayyip Erdoğan, dessen unverblümte Allmachtsphantasie ein Paradebespiel für Platons These bildet, die Demokratie sei der erste Schritt zum Despotismus. Hamed Abdel-Samad, der Autor des Buches: „Der islamische Faschismus: Eine Analyse“ und profunder Kenner der salafistischen Szene, zeigt anhand des Beispiels der Muslimbrüder, wie Leute vom Schlage eines Abd as-Sisi, oder eben eines Recep Tayyip Erdoğan ticken. Sie verachten die Demokratie zutiefst und betonen dies stets. Aber sie erschleichen sich ihre Legitimation durch demokratische Wahlen, um an die Macht zu kommen und dann schnellstmöglich die Parlamente als Regulativ kaltzustellen.

Diese Vorgehensweise verbindet Hitler mit Mussolini und as-Sisi mit Erdoğan. Da diese Despoten ihrem Volk jedoch einen Ausweg aus dem bedrückenden Gefühl des benachteiligt-Seins boten, gleichzeitig stets einen universellen Schuldigen an dem desolaten Zustand der Nationen präsentierten (die Juden, die Bolschewisten, die Kurden…), verfielen die Menschen dem Reiz, mit diesem Mann an der Spitze der Bewegung, zu „alter Größe“ zurückzukommen. Dass die meisten der großen Führer in der Geschichte letztendlich nur verbrannte Erde und Leichenberge hinterließen, scherte das Volk indes einen Dreck. Hauptsache, man muss die Fehler sich nicht bei sich selbst suchen. Convenience Opinion eben.

Heute berauschen sich die Massen in der Türkei an den faschistoiden Botschaften Erdoğans, und es zeichnet sich ab, dass seine Vision vom groß-osmanischen Sultanat über das Referendum Realität wird; dass sich die Türkei demnächst im Mittelalter wiederfinden wird und der Region ein „großen Krieg der heldenhaften Türkische Söhne über die Armeen der Ungläubigen“ bevorsteht – Erdoğan wäre nämlich der erste Faschist, der früher oder später nicht die Kriegskarte ausspielt, wie sein verbales Hochrüsten und sein Abschlachten der Kurden bereits andeutet.

Wie dumm dies doch alles ist, denkt sich da der aufrechte, gebildete, Müll-trennende Demokrat hierzulande. Wie kann man so naiv sein und auf all die fadenscheinige Propaganda hereinfallen? Gibt es in der Türkei denn kein Internet? Da kann man doch alles nachlesen und sich eine eigene Meinung bilden: dass es zur Rettung der europäischen Investmentbanken keine Alternative gab; dass Saddam Hussein mit Massenvernichtungswaffen die ganze arabische Region bedrohte; und dass Saudi Arabien in eben jener Region ein Garant für Frieden und Stabilität ist; dass Husni Mubarak dies in Ägypten auch irgendwie mal war, also ein Sicherungsanker, oder wie sich Westerwelle damals ausgedrückt hatte; dass Wladimir Putin und seine russische Separatisten an dem Krieg in der Ukraine schuld sind: dass sogar die CIA die edle Demokratiebewegung auf dem Maidan mit 5 Millionen $ unterstützt hat, dass die Hartz IV Reformen für Deutschland richtig und wichtig waren; dass es deshalb Deutschland so gut geht, dass Gerhard Schröder keine getönte haare hatte und Verona Feldbusch eventuell keine gelifteten Titten; dass der erste FC Bayern München Deutscher Meister werden wird und dass Achtfuffzich Mindestlohn reichen; dass es selbst in Afghanistan sichere Regionen gibt, in die man abgelehnte Asylbewerber anschieben kann, von den Maghreb-Staaten mal ganz abgesehen.

Fazit zum Thema Convenience Opinion: wenn man sich ein Wenig Mühe gibt und sich ausreichend Informiert kann man mit seiner Meinung ganz bequem über die Runden kommen.

Spitze Feder – Spitze Zunge

Diese Kolumne schreibt vorwiegend Peter Grohmüller seine Gedanken zur Welt und dem Geschehen unserer Zeit auf.
Seine fein geschliffenen „Ergüsse“ – wie er selbst sie nennt – erfreuen sich großer Beliebtheit.

Hin und wieder erscheinen in dieser Kolumne auch Beiträge anderer Autoren, die dann jeweils entsprechend genannt werden.

Die Texte sind Satire, Kommentare und Kolumnen. Es handelt sich um persönliche, freie Meinungsäußerung.

Für die Texte ist der jeweilige Autor verantwortlich.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 3. Februar 2020 | Peter Grohmüller 3. Februar 2020

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